Kennwort: Schwarzer Ritter
jederzeit zurückbringen. Denise ist hier.“
13. KAPITEL
D ie frühlingshaften Temperaturen, die Washington in der vergangenen Woche hatte genießen können, verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Am Samstagmittag wehte ein scharfer Wind durch die Hauptstadt, der die Blüten von den Kirschbäumen rund um den See fegte und missmutige Touristen in ihre Hotelzimmer zurücktrieb.
Kate saß am Küchentisch, auf dem sie die Fotos von Molly ausgebreitet hatte. Noch einmal studierte sie jeden Schnappschuss und betrachtete die Frau, die Lynn Flannery auf dem Film festgehalten hatte. Molly Buchanan war eine hübsche junge Frau gewesen, mit wohl geformten Beinen, ausdrucksvollen braunen Augen, die einen leichten Ausdruck von Boshaftigkeit ausstrahlten, und einem gewinnenden Lächeln. Kate fand, dass sie ihrer Mutter sehr ähnlich sah, deren Foto, aufgenommen von Elaine Calhoon, in Mitchs Wohnzimmer stand, während Mitch das blendende Aussehen seines irischen Vaters geerbt hatte.
Je länger Kate die Fotografie betrachtete, umso besser verstand sie, was Lynn mit Mollys vielen Persönlichkeiten gemeint hatte. Das Mädchen war ein Chamäleon, im einen Moment verspielt wie ein Kind, im nächsten ein verführerischer Vamp. Doch hinter der Boshaftigkeit und dem Verführerischen entdeckte Kate noch etwas anderes, obwohl sie nicht genau sagen konnte, was es war. Traurigkeit? Bedauern? Sehnsucht? Vielleicht von allem etwas?
„Wer warst du wirklich, Molly?“ murmelte Kate, während sie das Bild der jungen Frau betrachtete, die neben der einmotorigen Beechcraft stand. Und warum hatte das sprichwörtliche Mädchen von nebenan, das Mitch beschrieben hatte, sich in jemanden verwandelt, der alles daran setzte, sich selbst zu zerstören?
Ihr Blick blieb an einem der beiden Fotos hängen, die Lynn von Molly vor ihrem Laptop aufgenommen hatte. Sie hatte sich auf dem Stuhl herumgedreht und zog eine Grimasse. Der Hintergrund war unscharf, aber Kate konnte erkennen, dass Molly tatsächlich im Internet surfte und möglicherweise eine der Websites suchte, von denen Lynn gesprochen hatte.
Sie nahm das zweite Foto in die Hand. Hier hielt Molly eine von Lynns Kreationen vor sich, einen zierlichen Stuhl, der in einem leuchtenden Orange gestrichen war. Sie schaute durch die Lehne und schielte ganz entsetzlich. Auf diesem Bild verdeckte der Stuhl den Computerbildschirm ganz und gar.
Enttäuscht ließ Kate das Foto auf den Stapel fallen. Dann bemerkte sie ein drittes Bild, das vor dem Laptop aufgenommen worden war und das sie zuvor nicht gesehen hatte. Es war viel schärfer.
Aufgeregt griff Kate zur Lupe, die neben ihr lag, und schaute das Bild genauer an – nicht Molly, sondern den Computerbildschirm. Es stimmte. Molly surfte im Internet. Kate beugte sich tiefer und fuhr mit dem Vergrößerungsglas über das Foto. Moment mal. Das war keine Website. Das war ein Chatroom. Ein
erotischer
Chatroom.
„Was sagt man denn dazu!“ Kate betrachtete das unmissverständliche Logo am oberen Rand der Seite – zwei nackte Frauen, die sich an einem Spinnennetz festhielten. Daher also kam der Name des Chatrooms:
Spinnennetz
. Kate konnte erkennen, dass zwei Chatter online waren. Die eine nannte sich Tiger Lilly, die andere Guinevere. Die Letztgenannte war gerade dabei, eine Antwort einzutippen, war jedoch unterbrochen worden. Man musste nicht Sherlock Holmes sein, um zu erkennen, dass Molly und Guinevere ein und dieselbe Person waren.
Kate lehnte sich in ihren Stuhl zurück. Molly war also eine Anhängerin des Cybersex. Kein sehr sicheres Hobby, wenn man an die zahlreichen tragischen Vorfälle dachte, die sich im vergangenen Jahr allein in der Hauptstadt zugetragen hatten. Kein Wunder, dass Molly ihre Aktivitäten geheim gehalten hatte. Mitch wäre an die Decke gegangen, wenn er etwas davon gewusst hätte.
Neugierig geworden, griff sie zum Telefon und wählte Lynns Nummer. Als sie sich meldete, fragte Kate: „Lynn, hat Molly Ihnen gegenüber jemals einen erotischen Chatroom erwähnt?“
Die Möbeldesignerin lachte: „Mit so etwas hatte Molly nichts im Sinn.“
„Sind Sie sicher?“
„Ja, absolut. Sie brauchte keinen Cybersex, um sich in Stimmung zu bringen, oder irgendwelche Perversen aus dem Internet. Warum fragen Sie?“
„Auf einem der Fotos, das Sie von ihr vor dem Laptop gemacht haben, sieht man, dass sie in einem erotischen Chatroom war.“
„Vielleicht hatte sie gerade gesurft“, versuchte Lynn zu erklären. „Ich habe Ihnen
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