Keraban Der Starrkopf
Richten wir den Blick auf die Gegenwart und die Aussichten, die sie uns bietet. Die Tochter des Banquiers Selim hätte ja von Odessa vielleicht nicht entführt werden können… sie ist aber entführt worden! Sie konnte beim Schiffbruch der »Guidare« mit umkommen… sie ist gerettet worden! Sie könnte schon die Gattin Ahmets sein… sie ist es aber noch nicht!… Es ist also eigentlich noch nichts verloren!
– Nein, nichts!… bestätigte Yarhud. Nach dem Schiffbruch folgte ich Ahmet und seinen Gefährten spähend nach, sobald sie von Atina aufbrachen.
Sie reisen ohne Mißtrauen, und der Weg durch ganz Anatolien, von Trapezunt bis zu den Ufern des Bosporus, ist ja noch lang. Weder die junge Amasia, noch ihre Dienerin wußte, wohin die »Guidare« bestimmt war. Außerdem kennt Niemand den Seigneur Saffar, noch Scarpante. Könnten wir die kleine Karawane nicht in einen Hinterhalt locken…
– Scarpante, unterbrach ihn Saffar frostig, das junge Mädchen muß mein werden! Wenn das Geschick sich gegen mich erklärt, werd’ ich dasselbe zu bekämpfen wissen. Es soll Niemand sagen, daß einer meiner Wünsche nicht erfüllt worden wäre.
– Es wird auch geschehen, Seigneur Saffar, redete ihm Scarpante zu. Ja, zwischen Trapezunt und Scutari, inmitten der öden Gegenden, wird es möglich, ja leicht genug sein, die Karawane zu überrumpeln, vielleicht, indem wir ihnen einen Führer besorgen, der sie irre führt, um sie dann durch einen Haufen in Ihrem Solde stehender Gesellen zu überfallen. Damit wenden wir freilich Gewalt an, und besser wäre es natürlich, durch List zum Ziele zu kommen.
– Wie sollen wir das anfangen? fragte Saffar.
– Du sagst, Yarhud, nahm Scarpante wieder das Wort, indem er sich an den maltesischen Capitän wandte, daß Ahmet und seine Gefährten sich letzt in kleinen Tagemärschen nach Trapezunt begeben?
– Ja, Scarpante, antwortete Yarhud, und ich kann auch hinzufügen, daß sie noch diese Nacht in der Karawanserai von Rissar zubringen werden.
– Nun, fragte Scarpante, könnte man ihnen da kein Hinderniß in den Weg legen, irgend eine fatale Geschichte anzetteln… die sie zurückhielte… oder die junge Amasia von ihrem Verlobten trennte?
– Ich hätte mehr Zutrauen zur Gewalt, meinte Saffar in seiner brutalen Weise.
– Sie können ja Recht haben, sagte Scarpante, und wir werden nicht davor zurückschrecken, wenn die List nicht zum Ziele führte. Doch lassen Sie mich hier warten und Acht geben…
Die Karawanserai von Rissar. (S. 283.)
– Still, Scarpante, wir sind nicht mehr allein!« warnte Yarhud den Intendanten, indem er dessen Arm ergriff.
Wirklich waren eben zwei Männer in den Hof getreten. Der eine war Kidros, der Wächter oder Verwalter der Karawanserai, der andere – nach seinem Auftreten und Reden zu urtheilen – eine vornehme Persönlichkeit, die wir dem freundlichen Leser nothwendig vorstellen müssen.
Der Seigneur Saffar, Scarpante und Yarhud zogen sich nach einer dunkleren Ecke des Hofes zurück. Von da aus konnten sie jedes Wort vernehmen, und zwar um so leichter, als die fragliche Persönlichkeit sich gar nicht genirte, laut und befehlerisch zu sprechen.
Der Fremde, ein vornehmer Kurde, nannte sich Yanar.
Das Gebirgsgebiet Asiens, welches das alte Assyrien und das alte Medien umfaßt, wird in der neuzeitlichen Geographie als Kurdistan bezeichnet. Es, erfällt in das türkische und persische Kurdistan, je nachdem es an Persien oder an die Türkei grenzt. Das türkische Kurdistan, das die Paschaliks von Chehrezur und Mossul, sowie einen Theil der von Van und Bagdad in sich begreift, zählt mehrere Hunderttausend Einwohner, und unter diesen – nicht den unbedeutendsten derselben – jenen Seigneur Yanar, der mit seiner Schwester, der edlen Sarabul, am Vorabende in der Karawanserai von Rissar eingetroffen war.
Meister Kidros sprach zu ihm nur mit der größten Ehrerbietung. (S. 290.)
Der Seigneur Yanar und seine Schwester hatten Mossul vor zwei Monaten verlassen und reisten nur zu ihrem Vergnügen. Beide begaben sich eben nach Trapezunt, wo sie einige Wochen zuzubringen gedachten. Die »edle« Sarabul – in ihrem heimatlichen Paschalik pflegte man sie so zu nennen – war im Alter von etwa zweiunddreißig Jahren schon zum dritten Male Witwe von vornehmen Kurden. Diese verschiedenen Ehegatten hatten ihrer Gemahlin alle nur ein, unglücklicher Weise sehr kurzes Leben widmen können. Ihre von Figur und Gesichtsbildung noch immer recht
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