Keraban Der Starrkopf
zurück.
– Wir haben das schon zu lange verzögert!« antwortete Van Mitten, der unter dem Gesumm von Flügelschlägen herumfocht, welche sich bei diesen Insecten auf Millionen in der Secunde belaufen sollen.
Eben als Seigneur Keraban mit seinem Begleiter den Wagen ersteigen wollte, blieb der Erstere stehen.
»Obwohl nichts zu fürchten ist, sagte er, wäre es doch gut, wenn Bruno bis zur Rückkehr des Postillons Wache hielte.
– Er wird sich dessen nicht weigern, meinte Van Mitten.
– Ich werde mich nicht weigern, erklärte Bruno, weil es meine Pflicht ist, mich nicht zu weigern, aber ich werde bei lebendigem Leibe aufgezehrt werden.
– Nein, erwiderte Keraban, ich habe mir sagen lassen, daß die Mücken höchstens zweimal an einundderselben Stelle stechen, so daß Bruno nun bald gegen ihre Angriffe gefeit sein muß.
– Ja – wenn ich aber tausendfach durchlöchert bin.
– So verstehe ich es, Bruno.
– Aber könnt’ ich nicht mindestens im Cabriolet Wache halten?
– Gewiß; vorausgesetzt, daß Sie da nicht einschlafen.
– Wie sollt’ ich denn schlafen können, bei diesem abscheulichen Gesumm von Muskitos?
– Stechmücken, Bruno, versicherte Keraban, einfache Stechmücken!…. Vergessen Sie das nicht!«
Nach dieser Bemerkung zogen sich Keraban und Van Mitten in das Coupé zurück und überließen es Bruno, für die Sicherheit seines Herrn oder vielmehr seiner Herren zu wachen. Denn konnte er seit dem Zusammentreffen Keraban’s und Van Mitten’s nicht in der That sagen, daß er deren zwei hatte?
Nachdem er sich von dem guten Verschluß der Wagenthüren überzeugt, besichtigte Bruno das Gespann. Erschöpft von Anstrengung, hatten sich die Pferde auf den Boden gelagert, athmeten geräuschvoll und vermischten ihren warmen Athem mit dem Dunste der sumpfigen Ebene.
Dann bestieg Bruno das Cabriolet und ließ den Glasverschluß desselben herab, durch den er den von den Strahlen der Laternen erleuchteten Halbkreis überblicken konnte.
Was konnte der Diener Van Mitten’s Besseres thun, als bei offenen Augen zu träumen und durch Vergegenwärtigung der Reihe von Abenteuern, in die ihn sein Herr im Gefolge des starrsinnigsten der Osmanlis zog, den Schlaf von sich fern zu halten?
Er, ein Kind des alten Bataverlandes, ein Pflastertreter der Straßen Rotterdams, ein täglicher Gast der Quais der Meuse, ein Fischer mit der emeritirten Angelschnur, ein Maulaffenfeilhalter an den Canälen, welche seine Vaterstadt durchziehen – er war jetzt an das andere Ende Europas verschleppt worden! Er hatte den Riesensprung von Holland in das ottomanische Reich gemacht! Und kaum in Constantinopel angelangt, verschlug ihn das Schicksal schon in die Steppen der unteren Donau! Hier sah er sich nun, eingeschlossen im Cabriolet eines Reisewagens, inmitten der Sümpfe der Dobrudscha, verloren in tiefdunkler Nacht, und der Wagen fester im Erdboden eingewurzelt als der gothische Thurm der Zuidekerk! Und alles das, weil ihm die Pflicht oblag, seinem Herrn zu gehorchen, der wiederum, ohne dazu gezwungen zu sein, dem Seigneur Keraban Gehorsam leistete.
»O du launenhaftes Menschenloos! wiederholte sich Bruno. Da bin ich nun im besten Zuge, eine Reise um das Schwarze Meer zu machen, wenn’s noch so weit kommt, und das allein, um zehn Paras zu sparen, die ich herzlich gern aus eigener Tasche bezahlt hätte, wenn’s nur geschehen konnte, ohne daß es der vermaledeite Türke bemerkte. Ah, der Starrkopf! Der Dickkopf! Ich weiß bestimmt, daß ich seit der Abfahrt schon um zwei Pfund abgenommen habe… Binnen vier Tagen!… Wie wird das in vier Wochen aussehen!
– Ha, wieder eines der verdammten Insecten!«
So fest Bruno auch den Glasverschlag des Cabriolets verschlossen, hatten doch einige Dutzend Stechmücken Eingang gefunden und fielen nun wüthend über den armen Teufel her. Da gab’s Schläge und Gekratz, und wie gab er sich Mühe, jetzt, wo Seigneur Keraban ihn nicht hören konnte, die Mücken als Muskitos zu behandeln.
So verging eine Stunde und schlich noch eine hin. Ohne den aufregenden Angriff der Insecten wäre Bruno bei seiner Ermüdung doch bald in Schlaf verfallen. Unter diesen Verhältnissen war das freilich unmöglich.
Es mochte etwas nach Mitternacht sein, als Bruno ein Gedanke kam. Ihm, einem Vollblut-Holländer, die, wenn sie zur Welt kommen, eher nach einer Pfeife als nach der Amme verlangen, hätte derselbe wohl weit eher kommen sollen. Er wollte anfangen zu rauchen, den feindlichen Einfall der
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