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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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meiner Sänfte! Meine Kleider sind klamm! Ich zittere vor Kälte! Ich bin krank und werde sterben!« Bei den letzten Worten wandelte sich ihre wutverzerrte Grimasse zu einem kläglichen Gesichtsausdruck, und ihre anfangs haßerfüllte Stimme erstickte in einem Weinkrampf. Mustaphas stechende Augen nahmen einen erschreckten Ausdruck an, als er das verhärmte Gesicht erblickte. Er empfand nicht etwa Mitleid. Er sah lediglich die Piaster dahinschwinden, die er für den Verkauf dieser schönen Frau zu erhalten gehofft hatte. Er verstand zwar kein Wort von dem, was wie ein Strom aus Marinas Munde über ihn hereingebrochen war. Aber er erfaßte den Sinn auch ohne Kenntnis der spanischen Sprache. Er nickte ihr beruhigend zu und brüllte mit Donnerstimme seine fünf Begleiter an: »Absitzen, ihr Halunken, schlagt so schnell wie möglich die Zelte auf, kocht Essen und brüht Kaffee! Weicht Datteln ein und macht das Honigwerk bereit! Wir reiten morgen früh weiter.« »O Sayd«, erwiderte Abbas, »wenn wir unseren Ritt erst morgen früh fortsetzen, so wird uns Allah nicht gestatten, Ifrikija [15] vor übermorgen zu erreichen. Dein Schiff aber, o Herr, soll bereits morgen auslaufen.«
    »Schweig!« schrie Mustapha wütend, »oder ich schicke dich in die Dschehenna, du Sohn des Schejtans.«
    Aus dem Murmeln der übrigen vier konnte man entnehmen, daß sie ihrem Wortführer durchaus zustimmten. Die Stadt Tunis mit all ihren Geheimnissen, Schlupfwinkeln und verbotenen Genüssen lockte zu sehr, als daß sie nicht jede Minute der Verzögerung bedauerten. Widerwillig machten sie sich an die Arbeit. Bald standen vier seidene Zelte auf der feuchten Erde. Das größte war von blauer Seide und diente den beiden Araberinnen und Marina als Unterkunft. Auf der Erde waren Dutzende von weichen Matten und Kissen hingebreitet. Die Eingangsöffnung war mit einem kostbaren Gobelin verhängt. Die ältere der beiden Araberinnen fragte in ihrem gebrochenen Spanisch: »Warum unterbrechen Reise nach Ifrikija?«
    Marina schwieg trotzig und hüllte sich in die Kissen ein. Der Zustand, in dem sie sich befand, war beklagenswert. Tag und Nacht hatte sie ihr Hirn gefoltert, um einen Ausweg aus ihrer trostlosen Lage zu finden. Aber alle Gedanken an eine Flucht zerbrachen an der Wachsamkeit der Sklavenhändler. Ob Michel Baum, dessen Bild sie im Wachen und im Träumen vor Augen hatte, bereits wußte, wo er sie suchen sollte? Und wenn er ihre Botschaft schon empfangen hatte, würde er überhaupt etwas unternehmen wollen, um sie zu befreien? Mustapha betrat das Zelt. Sein Blick fiel auf die zusammengekrümmt daliegende und von Schluchzen geschüttelte Gestalt Marinas.
    »Was ist mit ihr?« wandte er sich fragend an die beiden arabischen Frauen. »Ich weiß nicht«, sagte die Ältere. »Allah scheint Schwermut in ihr Herz gesenkt zu haben.« »Unsinn! Sie ist naß und müde. Zieht ihr die Kleider aus und reibt sie trocken. Wenn ihr sie nicht pflegt, als sei sie eure Schwester, werde ich euch an einen Lumpenhändler verkaufen anstatt an einen Pascha. Und wenn ich dann das nächstemal zu euren Vätern nach Marra-kesch komme, müssen sie mir einen Teil des Kaufpreises zurückgeben, wofür sie euch sicherlich in die Dschehenna wünschen werden.«
    Die beiden Frauen starrten ihn mit großen Augen an und stießen Rufe des Schreckens aus. Als sich Mustapha wieder dem Ausgang des Zeltes zugewandt hatte, widmeten sie sich der spanischen Sklavin.
    Sorgfältig zogen sie ihr die feuchten Kleider aus, nahmen wollene Tücher zur Hand und rieben ihren Körper, bis die Haut rot und frisch war. Dann hüllten sie Marina in trockene Gewänder und betteten die Willenlose bequem auf ihr eigenes, breiteres Lager, auf dem sie sonst gemeinsam schliefen. —
    Man wird sich vielleicht wundern, daß die Drohung Mustaphas die beiden Mädchen in Schrecken versetzt hatte. Aber im Orient herrschte zur damaligen Zeit der Brauch, daß arme Väter ihre hübschen Töchter einem Sklavenhändler verkauften, wenn sie sie nicht früh genug unter die Haube bringen konnten. Der Verkauf von Frauen galt in diesem Sinn nicht als Sklavenhandel; denn auch der Bräutigam mußte dem Vater einen ansehnlichen Betrag zahlen, wenn das Mädchen, das er sich zur Frau zu nehmen gedachte, schön war. Ein Mädchenhändler war also nichts anderes als ein Zwischenhändler, der einem Mädchen unter Umständen zu einer recht guten Partie verhelfen konnte. Hingegen galt es in der ganzen mohammedanischen Welt als schwerstes

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