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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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übermorgen, Senor Doktor?« fragte er treuherzig.

45
    Ein Zug von wild aussehenden Gestalten bewegte sich von Westen her auf die Stadt Tunis zu. Das Jahr 1776 hatte im Abendland gerade begonnen. Der Himmel war grau, und der Regen fiel in dünnen Strichen.
    »Maschallah«, fluchte der Führer der Karawane, »die Sänften sind durchgeweicht, die Seide der Zelte wird schon stockig, das Fell der Gäule trocknet überhaupt nicht mehr, und meine Laune ist auch so ziemlich beim Schejtan. Wenn Allah nicht bald besseres Wetter schickt, dann, beim Bart des Propheten, wird unsere Ware unansehnlich werden.«
    Einer der fünf Begleiter, der genau so wild aussah wie der Anführer, meinte:»Waren, wie wir sie führen, werden durch den Regen sicherlich nicht verderben. Ein bißchen Wasser kann den Weibern nicht schaden. Hauptsache, sie sind sonst in Ordnung und unversehrt, wenn wir sie unseren Kunden anbieten.«
    »Schweig«, donnerte ihn die Stimme Mustaphas, des Anführers an. »Du hast mir nicht zu widersprechen. Und solltest du es dennoch einmal wagen, so ziehe ich dir die Riemen meiner Kurbatsch durchs Gesicht. Basta!« »Aber, Sayd, ich habe doch nur gemeint...«
    »Kuss omek, du hast gar nichts zu meinen. Ich bezahle dich dafür, daß du mir gehorchst. Deine Dummheit stinkt zum Himmel, und an Gehirn hat dir Allah zu wenig gegeben. Wenn die Weiber naß werden, verlieren sie ihre Laune, machen ein verdrießliches Gesicht, haben strähnige Haare, und ihr Wert vermindert sich. Gerade die eine, die uns am meisten Geld bringen könnte, leidet sehr unter den Strapazen dieser Reise. Im Augenblick ist sie nicht mehr wert als 10 000 Piaster.« »Aber du sagtest doch, Sayd, ihr Fleisch sei so fest, daß man mit 10 000 bis 20 000 Piaster rechnen könne«, entgegnete der andere.
    Mustapha zog hörbar die Luft durch die Zähne. Sein dicker Bauch hüpfte ärgerlich auf und nieder. Er fuhr sich mit den Fingern durch den Bart und meinte stöhnend: »Dein Verstand ist noch kleiner, als ich angenommen habe. Du bist ein Kamel, so groß wie es in Afrika kein zweites gibt, und hast das Gehirn einer Wanze, die Allah zertreten möge. Habe ich dir nicht soeben erläutert, daß der ewige Regen daran schuld ist, wenn der Wert der roten Hexe sinkt? Und nun fragst du mich anschließend, weshalb sich ihr Wert gemindert habe? O Allah, was für eine Herde Esel hast du mir nur zur Begleitung gegeben!« Die vier anderen zogen es vor zu schweigen.Sie wußten, daß man dem mächtigen Sklavenhändler Mustapha dadurch am besten diente, daß man keine eigene Meinung laut werden ließ. Sie erhielten für ihre Dienste nicht nur feste Bezüge, sondern auch einen Prozentsatz der Einkünfte aus dem Verkauf jener Waren, bei deren Beschaffung sie mitgeholfen hatten. Hinter der Reitergruppe gingen zwölf Pferde, immer zwei nebeneinander, in deren Mitte eine Sänfte schaukelte, die vollkommen verdeckt war, so daß ein Unberufener keinen Blick hineinwerfen konnte. In diesen Sänften befand sich teils die »Ware«, teils die Ausrüstung, wie Zelte und Säcke mit Datteln, getrockneten Feigen, gedörrtem Rindfleisch und Honigwaren, die in der orientalischen Welt das leckere Dessert nach der Mahlzeit der reichen Leute bilden. Aus der ersten Sänfte ertönte plötzlich lautes spanisches Fluchen.
    Mustapha verhielt augenblicklich sein Pferd und drehte sich um. Seine Helfer machten keine Anstalten, irgend etwas zu unternehmen.
    »Ihr Ölgötzen, ihr Lumpenkerle, ihr Faulpelze, ihr Hundesöhne, wollt ihr nicht eilen, fliegen, springen, wenn ihr hört, daß es der weißen Frau mit den roten Haaren unbequem in ihrer Sänfte wird?«
    »Wir können nicht verstehen, was sie ruft, Sayd«, entgegnete brummend der ewige Widersacher Abbas.
    »Du brauchst nichts zu verstehen, Esel. Ich verstehe auch nichts. Aber auch der Rest deines Verstandes muß dir sagen, daß sie etwas will, wenn sie schreit, Kelb ibn Kelb.« Mustapha wandte selbst sein Pferd und ritt hinter die beiden Gäule, zwischen denen die Sänfte schaukelte.»Was ist los? Was willst du?«
    Wieder traf nur unverständliches Schimpfen sein Ohr. Dann wurde das Tuch, das die Sänfte nach hinten abschloß, zur Seite gezogen, und das wutverzerrte Gesicht Marinas fuhr heraus. »Demonio — Diablo — du ekelhafter Gauner! Nicht genug, daß du mich meiner Freiheit beraubst und mich wochenlang in diesem Käfig hier durch die Gegend schaukelst, läßt du es auch noch zu, daß ich naß werde! Der Regen durchdringt nicht nur das Dach

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