Kerker und Ketten
konnte ein Prophet, dessen Gott den Wein wachsen ließ, kein guter Prophet sein, wenn er verbot, diese Gottesgabe genußvoll zu schlürfen.
»Berichte, was sich seit unserer Trennung ereignet hat«, befahl Mustapha und ließ sich auf den Diwan nieder.
Muras Rejs wackelte zustimmend mit dem Kopf und begann:
»Als der Ramadan [17] zu Ende ging und die Gläubigen das Bairamfest [18] feierten, befanden wir uns auf der Höhe der Balearen. Dort stöberten wir in einer Nacht ein kleines Schiff auf, dessen Segel nicht ausreichten, um uns zu entkommen. Deine tapferen Matrosen, o Sayd, warfen die Enterleitern aus und eroberten es mit der Schnelligkeit des Blitzes. Aber wer vermag unsere Enttäuschung zu beschreiben, als wir feststellten, daß sie nichts geladen hatten als eine Batterie solcher Korbflaschen wie die, aus der du eben die widerliche rote Tunke, die die Giaur Wein nennen und die Allah verderben möge, genossen hast.«
Zum erstenmal trat ein Grinsen auf Mustaphas bärbeißiges Gesicht. »Die rote Tunke scheint dich trotz aller Widerwärtigkeit so beflügelt zu haben, daß dein Bericht wie die Schilderung eines Märchenerzählers klingt. Fahre fort. War der Wein alles, was ihr erbeutet habt?«
»Nein, Sayd. Wir können dir außerdem den Fang von zwölf Ungläubigen vermelden, die die Besatzung des gekaperten Schiffes bildeten.«
»Maschallah, das ist eine gute Nachricht. Sind sie jung und kräftig?«
»Elf von ihnen sind jung, und ich glaube, sie werden uns eine gehörige Menge Piaster einbringen, wenn wir sie an den Sultan verkaufen, der sie als Matrosen für seine Flotte verwenden kann. Der Rejs ist allerdings sehr betagt und trägt einen langen, weißen Bart.«
»Bringe sie an Bord. Ich muß wissen, welche von den Burschen wir brauchen können; denn ich habe vor, noch heute nacht in See zu stechen.«
Mustapha wandte sich zur Kajütentür, trat auf den Gang hinaus und begab sich über die knarrende Treppe an Deck. Abbas folgte ihm. Muras wandte sich der Falltür zu, durch die man über eine Leiter in den Kielraum gelangen konnte.
Bald erscholl von der Kajütentreppe her das Geräusch trappelnder und stolpernder Schritte, das Sausen von Peitschen, das Klatschen von Riemen und das Geschrei geprügelter Menschen. Die zwölf weißen Sklaven taumelten hintereinander an Deck, wo sie wimmernd vor dem Menschenhändler und seinem Haupthelfer stehen blieben. Ein Halbkreis aus Leuten der Schiffsbesatzung hatte sich um sie gebildet.
Mustapha betrachtete mit finsterem, furchteinflößendem Blick eine der halbnackten Gestalten nach der ändern. Hier und da griffen seine Finger nach den Muskeln der bedauernswerten Opfer und prüften sie auf ihre Härte. Dem einen oder ändern fuhr er mit der Hand in den Mund und rüttelte an den Zähnen, um sich zu vergewissern, ob sie festsaßen.
Als letzter kam der weißbärtige Kapitän dran. Mustapha zog ihn am Bart und riß ihm dann eine Strähne seiner weißen Haupthaare aus. Die Augen des Alten zogen sich für einen Augenblick im Schmerz zusammen, glühten dann aber wie Kohlen unter den buschigen, weißen Brauen. »Du alte, weiße Nachteule«, sagte Mustapha spöttisch in türkischer Sprache. Und er war erstaunt, als er plötzlich die Antwort aus dem Mund des Alten vernahm. »Du fetter, aufgeblasener Dickwanst«, schimpfte jener im schönsten Türkisch. »Schejtan«, wunderte sich Mustapha, »du sprichst die Sprache der Gläubigen, altes Gespenst?« »Ich spreche alle Sprachen«, erwiderte der gefangene Kapitän. »Du sprichst alle Sprachen? Wie meinst du das?«
»Wie ich es sagte. Hat dir dein Allah das Gehirn ausgekratzt, daß du mich nicht verstehst?« Mustapha rollte mit den Augen und schnappte nach Luft. In solchem Ton hatte noch nie ein Mensch zu ihm gesprochen. Er war ehrlich verblüfft. Aber eigentümlicherweise konnte er sich nicht einmal darüber ärgern; denn irgendwie imponierte ihm der alte Mann mit seiner Unerschrockenheit.
»Schaff die Gefangenen wieder in den Kielraum, Muras«, befahl er seinem Kapitän. »Den Alten laß mir hier. Ich will mich mit ihm unterhalten. Und dann mach das Schiff klar zum Auslaufen.« Er wandte sich an Abbas. »Nachher, wenn du Zeit hast, laß dem Alten Kleider geben. Ich kann einen, der alle Sprachen spricht, gut gebrauchen. — Willst du mir dienen, alter Knochenmann?« Die Augen des gefangenen Kapitäns sprühten zwar Blitze. Aber da er keine andere Rettung sah, nickte er.
»Sprichst du alle Sprachen der Franken?« fragte ihn
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