Kerker und Ketten
sank sie bewußtlos zusammen. Die Nervenanspannung, die nun schon seit dem Verrat Joses auf ihr lastete, war zu groß gewesen.
Die Araberinnen stießen einen Schrei des Schreckensaus und zogen an einer Seidenschnur. Draußen erklang eine Glocke. Die Frauen verhüllten gewohnheitsmäßig die Gesichter, als Mustapha, der Anführer der Sklavenkarawane, erschien. Der fette Kerl blieb beim Anblick der Bewußtlosen erstaunt stehen.
»Allah ist groß und unerforschlich in seinen Ratschlüssen. Aber er hätte nicht weise gehandelt, wenn er sie uns genommen hätte, bevor wir sie verkauft hätten. O Allah, denke doch an das Unglück, das deine gläubigen Diener befallen würde, wenn wir sie verlieren müßten!« Ein anderer der Männer war hinter ihm ins Zelt getreten. Er preßte sein Ohr auf Marinas Brust. »Sie ist ohnmächtig«, sagte er zu Mustapha. »Vielleicht hat sie Hunger.« Mustapha wandte sich an die beiden Araberinnen.
»Pflegt sie gut, ihr Weiber, und gebt ihr zu essen und zu trinken. Wenn sie nicht wieder gesund wird, verkaufen wir euch an einen Harem, der schon hundert Frauen beherbergt.« Ein erschreckter Aufschrei der beiden Frauen ließ ahnen, wie gräßlich eine solche Sklaverei sein mußte. So bemühten sie sich eifrig um Marina.
19
»Wenn wir nicht in der nächsten halben Stunde den Hohlweg erreichen, von dem Marina gesprochen hat, als sie uns den Weg zum Ankerplatz der Galeone schilderte, so sind wir falsch geritten und haben ihn verfehlt«, sagte Michel Baum und verhielt sein Pferd. Isolde Hawbury wankte im Sattel. »O Gott, wenn es noch lange dauert, so kann ich nicht mehr weiter«, stöhnte sie verzweifelt. »Ich wollte, wir wären schon auf dem Schiff.« »Ihr müßt noch ein wenig durchhalten, Miss Hawbury«, tröstete Michel freundlich. »Auf dem Schiff gibt es alle Bequemlichkeit, und ich bin sicher, daß Marina nicht zögern wird, Euch einen Platz in ihrer eigenen Kabine anzuweisen.«
Sie setzten die Pferde wieder in Bewegung und ritten im Schritt weiter. Ojos Augen suchten mit unstetem Mißtrauen die links und rechts sich breitenden Hügelketten ab. Er war — wie ein guter Wachhund — immer auf dem Sprung. Er traute niemandem außer sich selbst und seinem verehrten »Senor Doktor«.
Je weiter die Minuten, die zu der halben Stunde gehörten, von der Michel gesprochen hatte, abbröckelten, desto unruhiger wurde Steve Hawbury. Sein Denken war von eindeutiger Klarheit: nachdem er seine Schwester in Sicherheit wußte, galten seine Gedanken uneingeschränkt jener unerhörten Frau, die ihm zum Schicksal geworden war: der andalusischen Gräfin, der Piratin! Dem jungen Hawbury war es nicht verborgen geblieben, daß sich Marina während des ganzen Fluchtwegs von El Mengub bis nach Algier unablässig um Michel Baum bemüht hatte. Und diese sichtbare Teilnahme für einen anderen Mann hatte einen Stachel in seine dürstende Seele gesenkt. Aber mit der Aufmerksamkeit eines Eifersüchtigen war es ihm auch nicht entgangen, daß die tollkühne Frau bei Michel nur einer kühlen, höflichen Freundlichkeit begegnete, die sich wie ein undurchdringlicher Panzer um ihn gelegt hatte.
Da schöpfte der junge Mann neuen Mut und begannnun seinerseits, Marina den Hof zu machen. Seine Beständigkeit amüsierte die Gräfin zunächst. Dann aber begann sie sie ernst zu nehmen. »Der Hohlweg!« rief Ojo auf Spanisch.
»Ah — endlich!« meinte Michel befriedigt. »Dort ist der Hohlweg«, wiederholte er auf Englisch; denn Steve verstand noch immer nicht die Sprache der Hidalgos.
»Well — well«, sagte er ungeduldig und blickte auf seine Schwester, »habt Ihr etwas dagegen, wenn ich die Spitze nehme und vorausreite? Ich denke, Isolde ist noch zu schwach zum Galoppieren.«
»All right«, nickte Michel und verbarg ein Lächeln.
Hawbury stürmte ungestüm von dannen. Sekundenlang noch hörte man das schnelle und harte Schlagen der Hufe seines Pferdes.
»Ich muß mich wundern« — Ojo schüttelte den Kopf — »daß die Gräfin nicht wenigstens eine Wache an den Ausgang des Hohlwegs stellen ließ. Wie leicht hätten wir ihn verfehlen können.« Michel nickte. Er hatte den gleichen Gedanken. Jedoch er schwieg. Plötzlich, ganz plötzlich, vielleicht vollkommen grundlos, hatte sich seiner das Gefühl einer Unsicherheit bemächtigt. Immer tiefer in den Hohlweg hinein führte ihr Weg. Sie mochten eine halbe Stunde geritten sein, als ihnen jagender Huf schlag entgegenkam. Michel nahm das Gewehr vom Sattelknauf und wartete.
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