Kerker und Ketten
hindurch darüber nachgedacht, wie wir unser Schicksal meistern können. Über Geld verfügt niemand von uns. Wir können also nicht einmal auf einem der arabischen Küstenboote Passage nehmen. Wenn wir nach Fes wollen, bleibt uns nur der Landweg. Wenn wir durch das Gebirge nach Süden reiten, um uns dann hinter Algier wieder nach Norden zu wenden, wird es hin und wieder eine Jagdbeute geben.«
»Wenn wir wenigstens direkt an der Küste entlangreiten könnten!« meinte Ojo.
»Ja — wenn. Aber du siehst doch wohl ein, daß das am unsichersten ist. Wie leicht könnten wir wieder in die Gefangenschaft des Daj geraten! Sicherheit gibt es für uns nur, wenn wir die Stadt südlich umgehen, umdann nach Oran zu kommen. Von dort aus können wir die Küstenstraße nehmen, bis wir das marokkanische Teil erreichen.«
Er blickte bei den letzten Worten zu Isolde hin.
Das Mädchen starrte ihn mit entsetzten Augen an.
»Durch Algier oder auch nur dicht an der Stadt vorbei dürfen wir auf keinen Fall reiten — auf keinen Fall. — Ich würde vor Angst dabei vergehen.«
»Aber nach Fes müssen wir; denn wir brauchen Euern Vater, daß er uns weiterhilft. Seid Ihr sicher, daß wir ihn noch beim Sultan treffen?« Isolde zuckte die Achseln.
»Ich hoffe es. Es ist meine einzige und letzte Hoffnung.« Sie blieb still und starrte vor sich hin.
20
Im Jahre 1775 war Oran noch ein kleiner Küstenflecken, nur bekannt durch den immerwährenden Streit, den die Spanier und die Janitscharen um ihn führten. Wie ein blutiger Faden läuft durch die Geschichte Orans der ständige Besitzwechsel der Stadt, die erst später, nachdem sie den Franzosen gehörte, zum wichtigsten Hafen Algeriens wurde. Die alte Stadt, wie sie noch vor dem großen Erdbeben vom 9. Oktober 1790 aussah, schmiegte sich an den östlichen Abhang des Dschebel Murdschadscho und gehörte zum großen spanischen Reich, bei dem sie bis zu diesem Erdbeben auch trotz des soeben verlorenen Krieges gegen den Piratenfürsten von Algier verblieb. Natürlich hatte sie bereits damals eine gewisse Bedeutung. Oran bildete letzten Endes den Schlüssel zu Algerien. Deshalb hielten auch die Spanier so hartnäckig an seinem Besitz fest. Handel und Wandel blühte, allerdings nur im mohammedanischen Sinne; denn die Gepflogenheiten christlicher Kaufleute waren den meist eingeborenen Bewohnern durchaus fremd. Die wenigen Spanier, die dort lebten, nahmen bald selbst die Methoden der Araber an, die man sehr leicht auf einen einfachen Nenner bringen konnte: Betrug, Übervorteilung des Handelspartners, Schwindel. —
Der Großkaufmann Abd el Hamid, der einen schwungvollen Handel mit Hanf trieb, hatte sein Haus im vornehmen Viertel der Stadt. Es war eine in maurischem Stil erbaute Villa, die in der ganzen Gegend nicht ihresgleichen fand.
Mancher wunderte sich darüber, daß das Geschäft mit Hanf seinen Mann nicht nur ernähren, sondern ihn unter Umständen sogar steinreich machen konnte. Abd el Hamid handelte mit einer ganz bestimmten Sorte Hanf, mit indischem Hanf nämlich. Und aus diesem Kraut ließ sich in einem sehr einfachen Verfahren Haschisch herstellen, ein Rauschmittel, dessen Genuß bereits damals über den ganzen Orient verbreitet war.
Man trocknete das Hanfkraut, zermahlte es dann zu Pulver, versetzte es mit Honig und Butter, bis es zu einer zähen, gummiartigen Masse geworden war, und brachte es dann in den Handel. Ein ausgezeichnetes Geschäft und so gut wie risikolos; denn im Koran standen keine Gesetze, die den Genuß von Hanf verboten. Und die Gesetze, die die Spanier erlassen hatten, sagten ebenfalls nichts von Hanf. Sie verboten lediglich die Verbreitung von Haschisch. Die Beamten aber richteten sich ebensowenig nach den Gesetzen wie die übrigen Bewohner. Es kam vor, daß der Statthalter höchstpersönlich ein paar kleine Pakete an seine Freunde nach Spanien schickte. Diese verkauften den Inhalt der Pakete, zogen ihre Provision ab und schrieben den restlichen Erlös aus dem Rauschgift auf der Bank von Madrid für den Statthalter von Oran ein. Man sieht, es war auch damals, 1775, auf der Welt nicht viel anders als heute. —
Dezemberregen rann in Sturzbächen hernieder, und kein Hund blieb länger auf der Straße, als er mußte. Abd el Hamid saß eines Abends über seinen Büchern, prüfte die Abrechnung der letzten Monate nach und rieb sich vergnügt die Hände.
In der kleinen spanischen Kirche, einem unansehnlichen Gebäude im Vergleich zu den Moscheen hierzulande, beteten
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