Kerker und Ketten
sprang aus dem Sattel, eilte auf die Tür zu, durch die der Diener verschwunden war, — und stand in der Gesindestube. Männer und Weiber saßen um einen Tisch herum, lachten, schwatzten und tranken Wein. Michel entdeckte seinen Mann. Halef war eben dabei, die Gebote des Propheten kräftig zu übertreten. Er hatte eine Korbflasche Wein beim Halse und wollte sie gerade zum Mund führen, eine Beschäftigung, bei der er sich äußerst wohl zu fühlen schien.
Michel stieß einen durchdringenden Pfiff aus, dem er einen seiner berüchtigten Triller folgen ließ.
Die Männlein und Weiblein erstarrten. Sie blickten ihn an, als sei er der Leibhaftige. Die nassen Fetzen, die um seine abgemagerte Gestalt hingen, der Turban, der jhm tief ins Gesicht gerutscRt war, mochten diesen Eindruck noch unterstreichen.»Halef!« rief er jetzt mit Donnerstimme. Der Angerufene fuhr erschrocken auf. »Wa — wa — was willst du?«
»Dich davor bewahren, die Gebote des Propheten zu übertreten. Komm, sonst mache ich dir Beine, du verdammter Halunke. Führe uns zum Haus deines Herrn!«
Die spanischen Dienstboten hatten ihn nicht verstanden. Aber seine Stimme war so drohend, daß sie froh waren, nicht selbst von ihm angesprochen worden zu sein.
Halef stand langsam auf und schlich wie ein geprügelter Hund zur Tür.
Wieder drangen ihm die gräßlichen Pfiffe des Unheimlichen in die Ohren.
Schnell ging er zu seiner Kutsche und machte sich auf den Heimweg; wortlos wies er den Fremden Plätze an und brachte ihnen trockenes Stroh.
»Und etwas zu essen!« befahl Michel in einem Ton, der keine Widerrede duldete. Bald stand eine Schüssel mit dampfendem Reis und Hammelfleisch vor den Ausgehungerten. Isolde Hawbury konnte nur ein paar Bissen schlingen. Dann fiel sie in tiefe Ohnmacht. »Zieht ihr die nassen Kleider aus«, befahl Michel ihrem Bruder.
Michel nahm Stroh in beide Hände und begann, ihren Körper damit warm zu reiben, bis er rot wurde und ihr ruhiges Atmen verriet, daß sie einen gesunden Schlaf schlief. Die drei Männer entledigten sich ebenfalls ihrer nassen Fetzen und rieben sich gegenseitig ab. Tief in das Stroh gegraben, schliefen sie Minuten später erschöpft ein.
21
Der Pfeifer erwachte mit dem Morgengrauen. Rasch kroch er aus dem Stroh und reckte die steifen Glieder.
Vorsichtig, um die anderen nicht zu wecken, öffnete er die Stalltür und ließ seine Blicke über den schmutzigen Innenhof schweifen.
So prächtig das Haus von vorn aussah, so verwahrlost war alles, was sich hinter seiner reichen Fassade den Blicken bot.
Michel überlegte. Was war zu tun? Würde dieser Geizhals von Kaufmann tatsächlich eine Bezahlung für das Nachtlager im Stroh fordern? Wenn ja, was dann?
Michel hatte starken Hunger. Essen war der einzige Gedanke, der ihn im Augenblick erfüllte. Er schritt über den Hof und betrat die Villa durch die Hintertür. Der Gegensatz zwischen draußen und drinnen war überraschend. Sogar der schmale Hinteraufgang war mit schneeweißem Marmor ausgelegt. Hier herrschte Reichtum. Das merkte man auf den ersten Blick.
Michel schritt die Treppe empor. Nichts rührte sich im Hause. Die Diener schienen hier so lange zu schlafen wie der Herr.
Ganz in Gedanken begann er vor sich hinzupfeifen. Als er einen Gang hinunterschritt, streckte aus einer der in der Nähe liegenden Türen jemand seinen Kopf und starrte ihn erstaunt an. Der Kopf glich einer ausgepreßten Zitrone, der man eine Kaffeehaube übergestülpt hat. Michel mußte lachen.
»Heda!« rief er, »kannst du mir nicht etwas zu essen geben? Allah wird dich dafür mit allen Genüssen des siebenten Himmels belohnen.«Der Mann mit dem vertrockneten Gesicht sah den Fremden sprachlos an.
»Wie kommst du hier herein, kelb ibn kelb?«
»Sei artig und höflich«, entgegnete Michel, »und gebrauche nicht solche Ausdrücke. Dein Herr wird dir die Bastonnade geben, wenn du einen Gast beleidigst.«
»Der Herr bin ich, verstanden? Willst du mir nicht endlich sagen, woher du die Frechheit nimmst, hier hereinzukommen?«
Da trat Michel drohend ein paar Schritte auf ihn zu und stieß eine Folge von Pfiffen aus, die dem anderen eine Gänsehaut über den Rücken jagten. Der Zitronenkopf wich zurück und schrie:
»Allah kerim! Der Schejtan ist bei uns zu Gaste! Herbei, o ihr Gläubigen, ihr Anhänger des Propheten! Treibt ihn aus dem Hause, den bösen Geist! Er will uns verderben!«
Vom Ende des Ganges her kam eine Gestalt geeilt. Es war Halef, der Diener des
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