Kerker und Ketten
Raum, der wie ein gut eingerichtetes Zimmer aussah, natürlich auf typisch arabische Weise möbliert.
Der Alte bot Isolde einen P]atz auf dem Diwan an und klatschte in die Hände. Es vergingen zwei Sekunden. Dann erschien ein völlig zerlumpter Kerl, der ebenfalls ein Bettler sein mochte.
»Koche Cous-Cous und bringe dieser Ungläubigen hier zu essen. Dann mach einen Topf zurecht, den sie mitnehmen kann, um einen anderen zu speisen, der nahe am Verhungern ist.«
Der Zerlumpte verbeugte sich höflich und sagte:
»Ich werde nach deinem Willen tun, Emir.«
»Emir?« fragte Isolde überrascht.
Der alte Bettler lachte.»Sie haben mir den Titel gegeben. Er gilt natürlich nicht draußen. Aber die hier haben mich zu ihrem Fürsten gemacht, zum König der Bettler sozusagen, weil sie ohne meinen Rat nicht zu leben vermögen. Ich bin in Wahrheit kein Emir, sondern nur ein Philosoph.« »Ein Philosoph?« wunderte sich Isolde noch mehr. »Ja. Glaubst du, daß es im Morgenland keine Philosophen gibt?«
»Wenn du es sagst, wird es stimmen. Aber weshalb lebst du hier unter so merkwürdigen Umständen?«
»Sie passen mir. Ich habe keine Sorgen und brauche mich um meinen Lebensunterhalt nicht zu kümmern.«
»Aber es ist so finster hier, so — so — abgeschlossen — so — ich weiß nicht recht, wie ich ausdrücken soll, was ich empfinde.«
»Oh, daraus mache ich mir nichts. Ich habe alle Länder der Welt bereist. Auch in deiner Heimat bin ich gewesen. Ich habe Schnee gesehen und Sonne, Meere und Wüsten. Ich habe festgestellt, daß die Menschen überall gleich töricht sind, jeder auf seine Weise. Was also soll ich noch draußen? Hier ist der richtige Ort, um zu meditieren.« »Aber unter Dieben?« fragte sie erstaunt.
»Sind wir nicht alle mehr oder weniger Diebe? Sind wir nicht alle Räuber? Der eine raubt Geld und Edelsteine. Der andere nimmt seinem Nachbarn die Ruhe weg. Und es gibt Kaiser und Könige, gerade in deiner Heimat, die befehlen ihren Soldaten, daß sie anderen das Leben rauben. Sage mir, worin liegt hier der Unterschied?«
Isolde schwieg. Sie hatte viel gesehen im Lauf ihres jungen Lebens. Aber sollte sie sich mit einem Weisen in ein Streitgespräch einlassen?
»Was wirst du nun tun, wenn du satt bist?« fragte der Alte wieder.
Sie zuckte mit einer hilflosen Gebärde die Achseln. Dann antwortete sie:
»Ich muß zu meinem Vater vordringen. Er wohnt im Palast des Sultans. Er ist ein Gesandter Englands, den mein König zu Verhandlungen hierher geschickt hat.«
Der Alte blieb schweigsam. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt und schien nachzudenken. Die Tür öffnete sich, und der zerlumpte Kerl brachte zwei Schüsseln. In der einen war Reis, in der anderen dampfte heißes Hammelfleisch mit Sauce. Er setzte die Schüsseln vor Isolde auf die Erde nieder und zog sich wortlos zurück.
Isolde hatte im Lauf ihrer Gefangenschaft gelernt, wie man Cous-Cous ißt. Sie griff in den heißen Reis, ballte eine Kugel, wälzte sie in der fetten Tunke und steckte sie heißhungrig in den Mund.
»Unsere Gebräuche scheinen dir nichts Neues zu sein, wie?« lächelte der Philosbph. Er freute sich, daß einer Ungläubigen die Speise Mohammeds so vorzüglich mundete. »Höre«, fuhr er nach einer Weile des Schweigens fort. »Ich glaube dir deine Geschichte jetzt, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag. Ich will deinen Bruder hier bei , mir aufnehmen. Dich allerdings kann ich nicht hierbehalten; denn Frauen ist der ständige Aufenthalt in diesem Teil der Kasbah verboten. Dein Bruder kann sich hier erholen, und du selbst kannst kommen, um dich zu stärken. In der Zwischenzeit wird es dir nicht mehr schwerfallen, da du neue Kräfte gesammelt hast, das Tor des Palastes zu bewachen; denn einmal wird ja auch ein Gesandter des Königs von England Verlangen haben, den Palast zu verlassen. Dann paßt du ihn ab. Wenn er wirklich dein Vater ist, dann wird er dich sogleich wiedererkennen.«
Isolde stimmte diesem Vorschlag begeistert zu. Sie hatte, keine Angst vor den einsamen Nächten in der Stadt. Wenn sie bei Kräften war, würde sie sich verteidigen können. Außerdem konnte sie durchaus für einen Mann gelten. Nicht alle hatten so scharfe Augen, wie dieser Weise, der einem bis ins Herz schauen konnte. Und für einen Mädchenhändler sah sie im Augenblick zu verkommen aus. Sie würde keinem auch nur zwanzig Piaster einbringen. Sie stopfte sich noch einige Reiskugeln in den Mund, nahm dann den Rest auf, um ihn ihrem Bruder
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