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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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er sofort erkannte. Kein Zweifel, der Mensch, der da stand und sein Gesicht starr auf die Pforte des Palastes gerichtet hielt, war niemand anderes als Miss Hawbury. Er schaute sich suchend nach ihrem Bruder um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Jetzt ritt er heran.
    »Senorita!« rief er schon von weitem.
    Isolde wandte sich wie elektrisiert um. Dann warf sie die Arme in die Luft und stieß einen Schrei aus. Sie kam herangelaufen. Ojo war schnell vom Pferd gestiegen.
    »Senor Ojo!« schluchzte sie auf, »endlich seid Ihr wieder da, Senor Ojo, wie habe ich Euch gesucht, Gott sei Dank!«
    Sie fiel ihm um den Hals und schmiegte ihren kleinenKopf an seine mächtige Brust. Sie weinte und lachte vor Freude.
    Ojo stand da wie ein begossener Pudel. Derartiges hatte er noch nie erlebt. Die Röte der Verlegenheit schoß ihm ins Gesicht. Und so klang seine Frage jetzt rauher, als er es beabsichtigt hatte.
    »Wo ist Euer Bruder, Senorita?«
    Isolde war über das unerwartete Wiedersehen so glücklich, daß sie den rauhen Ton in seiner Stimme gar nicht bemerkte. Wie ein kleines Mädchen erzählte sie drauflos und schilderte ihm die Schrecken und die Abenteuer, die sie in den vier Tagen ausgestanden hatten.
    Ojo riß die Augen auf, daß sie kugelrund waren. Das schlechte Gewissen in ihm begann sich mit kräftiger Stimme zu melden. Was war er doch für ein Saufkumpan, daß er über dem guten Wein seine Pflichten so sehr vernachlässigt hatte! Was würde der Senor Doktor sagen, wenn er davon erfuhr!
    »Sagt, Senorita, habt Ihr Senor Baum noch nicht getroffen? Ist er noch immer nicht hier?« »Nein.«
    »Aber er wollte uns doch sofort nachkommen! Es kann doch nicht vier Tage dauern, bis er sich das Geld wiedergeholt hat!«
    Auch Isolde dachte zum erstenmal über diesen Umstand nach. Nun, da Ojo da war, hatte sie Gelegenheit, ihre Gedanken beruhigt auch einmal wieder anderen Dingen zuzuwenden als der Möglichkeit, ihren Vater endlich wiederzusehen.
    »Ihr habt recht, Senor Ojo, es wird doch nichts Ernstliches dazwischen gekommen sein?« »Ich fürchte doch. Ich habe ein ungutes Gefühl in der Magengegend.«
    Sie standen noch eine Weile beieinander, bis Ojo endlich den Vorschlag machte, sie solle auch in die spanische Herberge ziehen.
    »Dort ist wenigstens der Wirt ein Weißer. Und ich bin überzeugt davon, daß er Euch eine geziemende Unterkunft anbieten wird. Wo habt Ihr bisher kampiert?« »Da ich keinen Pfennig Geld besaß, mußte ich mit der Natur vorlieb nehmen. Das war nicht immer einfach. Ihr könnt mir glauben, daß ich manchmal schreckliche Angst hatte. Gut, daß Ihr nun da seid.«
    Ojo blickte schuldbewußt auf den Boden.
    »Ich finde«, sagte er dann, »man müßte doch nun einmal ernstlich etwas unternehmen, daß Ihr in den Palast kommt. So geht das doch nicht weiter. Soll ich den Kerl, der da mit der vorsintflutlichen Flinte spazierengeht, vielleicht niederschlagen?« »Um Gottes willen, nein. Ich versuche es lieber noch mit Warten. Ihr seid ja nun da, und so habe ich keine Not mehr. Vielleicht könnt Ihr mir ein wenig Geld geben, damit ich nicht immer den alten Philosophen um Essen anbetteln muß.« Ojo zog den Beutel hervor und überreichte ihn ihr.
    »Sehr sparsam scheint Ihr nicht gelebt zu haben«, sagte sie lächelnd, als sie den Ledersack erst schütteln mußte, bis sie die wenigen Piaster überhaupt wahrnehmen konnte, die er enthielt. Sie teilten das Geld gut ein; denn sie wußten nicht, wie lange es noch reichen mußte. Isolde zog ebenfalls in die Herberge, besuchte aber treu und brav jeden Tag ihren Bruder, dessen Zustand sich gar nicht bessern wollte.
    Von zehn Uhr morgens bis gegen Sonnenuntergang bezog sie dann mit Ojo ihren Posten vorm Palast, umauf den Zufall zu warten, der ihr ihren Vater wiederbringen sollte. Die Posten kannten sie bald. Aber ihre Augen glitten respektvoll über Ojos Gestalt, und da zogen sie es vor, die beiden in Ruhe zu lassen.

43
    Auf diese Weise waren etwa vier Wochen vergangen, als das große Ereignis eintrat.
    Ojo und Isolde hatten wieder Aufstellung vor dem Palast genommen, als der Posten das Tor aufriß und Räderrollen auf dem Pflaster des Hofes zu vernehmen war.
    Eine Kutsche rollte heraus. Sie war mit sechs Pferden bespannt und machte einen europäischen Eindruck.
    Isolde sprang vor die Pferde und rief:
    »Vater! — Vater! — General Hawbury! — Bitte, halte den Wagen an!«
    Der Mann im weißen Anzug, der müde in die Polster zurückgelehnt saß, zuckte zusammen, als er

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