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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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bebender Stimme.
    Er zuckte nur die Achseln. Sein ganzer Hochmut war unter dem Schlag zusammengebrochen. Ja, wenn sie jetzt Ojo dabeigehabt hätten! Ein paar Schläge von dessen Händen, und der Bursche hätte sich mitsamt seiner Flinte begraben lassen können. Ein eisiger Schreck durchzuckte das Mädchen.
    Ojo hatte den ganzen Rest des Geldes bei sich. Wo aber sollten sie den Begleiter jetzt finden? In der Stadt gab es mindestens tausend Herbergen. In welcher würde Ojo sein?»Barra! Macht, daß ihr fortkommt, ihr Halunken. Ich seh es mir nur noch einen Augenblick an, daß ihr hier herumsteht. Barra! Barra!«
    Isolde nahm traurig die beiden Pferde beim Zügel, und ihr Bruder folgte ihr wankend. Der graue Wolkenschleier, der vor dem Himmel hing, zerriß plötzlich. Jäh stach die Sonne auf die Geschwister nieder. Die Hitze legte sich wie ein wollener Mantel um sie und trocknete die durchnäßten Lumpen an ihren Körpern. Zuerst hatten die beiden nur den Eindruck wohliger Wärme. Aber schon nach einer halben Stunde verwünschte Steve die Sonne. Hatte sie vorher der feine Regen durchnäßt und sie frösteln lassen, so lief ihnen jetzt der Schweiß in Strömen vom Rücken, und die Lumpen waren wieder naß.
    Stunde um Stunde wanderten sie durch die Stadt und schleppten die abgetriebenen Gäule, die durstig waren, am Zügel nach.
    Die Schmerzen in Steves Brust verstärkten sich mit jedem Schritt. Als sich die Sonne dem Horizont zuneigte, jammerte er:
    »Ich kann nicht mehr, Isolde, ich bin unfähig, auch nur noch einen Schritt zu machen.« Isoldes Tränen waren mittlerweile versiegt. Sie hatte sich in ihr Geschick ergeben. Aber sie war noch nicht so weit herunter, daß sie sich willenlos von der Verzweiflung hätte übermannen lassen. Reste ihrer Energie waren noch vorhanden. »Wir können uns nicht hier an den Straßenrand setzen. Steve.«
    »Ich kann nicht mehr«, stöhnte er verzweifelt. Glühende Messer wühlten in seiner Brust. Isolde verhielt den Schritt und sah ihn an. Er war um Jahre gealtert. Scharfe Furchen standen in seinen jugendlichen Zügen. Sie biß die Lippen aufeinander. Wenn er auch Dummheiten gemacht hatte, er war ihr Bruder. Sie mußte zu ihm halten. Sie hatte schon Schwereres überstanden. Jetzt war sie wenigstens in Freiheit.
    »Well«, meinte sie mit fester Stimme, »dann setz dich dort drüben unter den Baum, binde das Pferd an, ich gehe Ojo suchen. Irgendwo muß er ja sein.«
    Steve nickte und wankte zu dem von ihr bezeichneten Baum, wo er sich völlig erschöpft niederließ.
    Isolde kletterte mühsam in den Sattel und ritt im Schritt davon. Stunde um Stunde ritt sie durch die engen Straßen. Manch ein Blick aus finsteren Augen traf sie. Dennoch blieb sie unbehelligt. Ojo — Ojo, hämmerte ihr Gehirn. Sie mußte ihn finden, koste es, was es wollte. Der Abend brach fast überganglos herein.
    Sie hörte von den zahlreichen Minarehs die Stimmen der Muezzins, die die Gläubigen zum Abendgebet riefen, das sicherste Zeichen, daß es in wenigen Minuten tiefe Nacht sein würde. Wie im Traum irrte sie weiter. Manchmal blieb das Pferd von selbst stehen und gehorchte dem Schenkeldruck nicht mehr. Dann schlug sie ihm wütend mit der Faust zwischen die Ohren. Der Gaul machte wieder ein paar Schritte.
    Sie fühlte, daß das Suchen nach Ojo einen Kampf auf Leben und Tod bedeutete, einen Kampf gegen die Zeit und gegen die Schwäche. Wenn sie schon ihn nicht finden konnte, so vielleicht sein Pferd, das irgendwo an einer Pferdestange vor einer der zahlreichen Wirtschaften angebunden sein würde.Doch es war alles vergeblich.
    Wieder erklang der Ruf des Muezzins. Diesmal versammelte er die Muslimun zum Morgengebet.
    Ein neuer Tag war angebrochen.
    Isolde nahm noch einmal alle Kraft zusammen und trieb das müde Pferd durch zwei Straßen hindurch, bis sie den Baum sah, an dessen Fuß ihr Bruder den tiefen Schlaf des Erschöpften schlief. Als das Roß unter der schattenspendenden Krone von selbst anhielt, verlor das Mädchen den Halt und sank langsam vom Pferd, bis sie, vor ihrem schlafenden Bruder liegend, die Besinnung verlor.

40
    Der Sonnenschein sollte nicht lange anhalten. Gegen Mittag bezog sich der Himmel wieder, und der alles durchdringende feine Regen setzte ein.
    Von der Kühle erwachten die beiden Unglücklichen. Isolde schüttelte sich vor Kälte. Steves Zähne schlugen hörbar aufeinander. Seine Wangen glühten im Fieber.
    »Wir müssen mit den Tieren vor die Stadt«, sagte Isolde mühsam. »Draußen

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