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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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zu bringen, und verabschiedete sich von dem Alten. Der lachte und sagte:
    »Ich werde dich schon begleiten müssen. Hier findest du im Leben nicht wieder heraus. Ich werde dir auch behilflich sein, deinen Bruder hierher zu bringen. Nimm diesen Ring. Wenn du ihn vorzeigst, wird dir jeder in der Kasbah behilflich sein, zu mir zu gelangen. Aber vergiß nicht, ihn mir wiederzugeben, wenn du ihn nicht mehr brauchst. Du siehst, ich habe Vertrauen zu dir. Enttäusche mich nicht.«

41
    Vier Tage weilte Ojo bereits in der spanischen Taberna. Der Wirt war großzügig und voller Freude, daß ihm ein Landsmann so lange Zeit Gesellschaft leistete. Immer wieder brachte er neue Humpen herrlichsten Weines angeschleppt, und Ojo trank, trank, trank, als sollte er sein ganzes Leben hindurch nie wieder einen Tropfen auf die Zunge bekommen. Ohne daß er es merkte, schmolz seine Barschaft zusammen. Das Trinken machte hungrig. Und was er verzehrte, mußte er bezahlen wie alle Gäste.
    Es war schon Mittag, und die Sonne lugte gerade wieder einmal durch ein Wolkenloch, als Ojo aus schwerem Rausch erwachte. Er stand auf, ging auf den Hof hinaus, zog einen Eimer voll Wasser aus dem Brunnen und goß sich das kühle Naß über den Kopf.
    »Hola, amigo, was macht Ihr da?« ertönte die lachende Stimme des Wirts hinter ihm. »Ihr müßt Euch nicht Wasser über den Kopf gießen. Das ist ungesund, und außerdem werdet Ihr davon zu schnell nüchtern. Wenn Ihr nach dem Erwachen einen schlechten Geschmack im Mund und Schmerzen im Kopf habt, so müßt Ihr gleich zum Krug greifen und einen kräftigen Zug hinuntergießen.« Ojo sah sich um.
    »Nichts für ungut, Senor, ich weiß, daß Euer Wein vorzüglich ist. Und da die Araber in ihrer unerforschlichen Dummheit keinen trinken, seid Ihr allein auf europäische Zechkumpanen angewiesen. Und die kommen gar selten ins Land. Ich kann verstehen, daß Ihr — wenn sich schon mal einer sehen läßt — diesen so lange wie möglich bei Euch halten wollt. Aber einmal geht auch die schönste Zeit zu Ende. Ich habe nämlich Freunde in der Stadt, um die ich mich kümmern muß. Vielleicht brauchen sie mich. Sollten sie mich aber nicht mehr brauchen, so haben sie ihr Ziel erreicht und können mir noch mit einigen Piastern behilflich sein. Deshalb will ich sie aufsuchen. Und dazu muß ich frisch sein.« »Ihr kommt doch wieder?« fragte der Wirt besorgt.
    »Naturalmente, amigo, der Teufel soll mich braten und frikassieren, wenn ich Euern vorzüglichen Wein je vergessen sollte. Aber jetzt müßt Ihr mich für eine Weile entschuldigen. Ich reite in die Stadt.«
    »Bueno, Euer Pferd steht gut im Futter, Senor, es hat sich in meinem Stall außerordentlich gut erholt. Es ist ein prächtiges Vieh. Ich würde Euch fünfhundert Goldpeseten dafür bezahlen.« Ojo lachte.
    »El Silbador würde ein schönes Gesicht machen, wenn ich auf einmal ohne Pferd wäre.« »El Silbador? Wer ist das? Der Name klingt romantisch.«
    »Vielleicht werdet Ihr ihn einmal kennenlernen.« Seine Stirn umwölkte sich plötzlich. »Sagt, Senor, wie lange bin ich nun schon hier bei Euch?«
    »In einer Stunde sind es vier Tage«, antwortete der Wirt. »Ihr müßt blau wie ein Veilchen gewesen sein, daß Ihr das nicht bemerkt habt.« Ojo zog die Stirn in Falten.
    »Santa Maria, Madre de Dios!« rief er entsetzt aus, »vier Tage sagt Ihr? Diablo, bin ich wahnsinnig oder seid Ihr es?«
    »Weder — noch, amigo, Ihr wart nur blau. Und das ist jetzt vorbei.«
    »Maldito!« schimpfte Ojo, »wenn Ihr auch nur eine blasse Vorstellung davon hättet, was Euer Wein für Schaden angerichtet hat, dann würde Euch die Lust zum Scherzen vergehen.« »Nun, nun, bester Senor, macht mir keine Vorwürfe dafür, daß ich Euch eingeladen habe. Der Vino hat Euch doch sehr gut geschmeckt.«
    »Zu gut«, seufzte Ojo, »leider.« Er nickte dem Wirt zu und sagte, »hasta la vista, Senor.« Zehn Minuten später galoppierte er wie ein Rachegott durch die Straßen, so daß Weiber und Männer schimpfend zur Seite sprangen. Planlos gebärdete er sich wie ein Rasender. Manche Straßen durchritt er fünf-, sechsmal, andere wieder überhaupt nicht. Er war der festen Überzeugung, daß er auf diese Weise den Pfeifer am schnellsten finden würde. Er konnte ja nicht ahnen, daß sein »Senor Doktor« zu dieser Zeit noch im »Staatsgefängnis« zu Oran schmachtete.

42
    Auf seinen planlosen Ritten kam er endlich auch in die Nähe des Palastes. Sein Auge fiel auf eine zierliche Gestalt, die

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