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Kerker und Ketten

Kerker und Ketten

Titel: Kerker und Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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wächst Gras. Hier haben wir nichts für sie zu fressen; denn Hafer können wir nicht kaufen, nicht einmal Heu.« Ihr Bruder stierte nur stumpf vor sich hin und gab keine Antwort.
    Sie raffte sich hoch und kletterte auf den Rücken ihres Gauls, der sich wieder etwas erholt hatte. Steves Pferd nahm sie am Zügel. Im Schritt durchritt sie wieder die ganze Stadt und wandte ihre Augen jeder Kaschemme zu, bis sie die Stadtmauer hinter sich hatte. An den Ufern des Wadi Fes gab es auch um diese Jahreszeit noch genügend Gras, daß die Pferde weiden konnten. Vom Wasser des Flusses tranken sie sich voll. Und da ihre Herrin keine Anstalten zu machen schien, sich zu erheben, legten auch sie sich hin.
    Isolde achtete nicht des Regens. Sie hatte nicht einmal mehr das Gefühl, daß sie fror. Sie war wie erstarrt. Zusammengesunken kauerte sie am Rand eines Ufergebüsches. Nach Stunden endlich zwang sie sich zum Aufstehen. Die Pferde taten es ihr sofort nach. Sie zupften nochmals ein paar Gräser und schienen dann ihre alte Frische und Spannkraft wiedererlangt zu haben.
    Wenn ich weiterleben will, dachte Isolde, muß ich wohl betteln. Sie ließ die Pferde stehen und wandte sich an den nächsten Straßenpassanten.
    »Herr, gib einem armen Menschen eine Gabe. Ich bin halb verhungert. Allah wird dich dafür reich beschenken.«
    Der alte Araber, den sie gefragt hatte, blieb verwundert stehen und sah ihr ins Gesicht. Dann schüttelte er den Kopf und meinte:
    »Bist du nicht eine Weiße, eine Ungläubige?«
    Isolde erschrak. Sah man ihr so deutlich ihre Rasse an?
    Sie war gekleidet wie ein Mann. Wie konnte der andere ihr Geschlecht erraten haben? Sie weinte auf einmal laut auf.
    Der Araber schien Mitleid zu haben.
    »Was plagt dich?« fragte er. »Weshalb bettelst du?«
    »Ich verhungere«, erwiderte sie gequält, »und mein Bruder wird vielleicht die nächste Nacht nicht mehr überleben, wenn er noch einmal im Freien nächtigen muß.«Sie deutete mit dem Finger auf den zusammengesunkenen Steve.
    »Wie seid ihr in diese Lage gekommen?« Der Alte war neugierig.
    Isolde erzählte in kurzen, schleppenden Worten.
    »Maschallah, ein schönes Märchen. Aber daß dein Bruder krank ist, sehe ich mit eigenen Augen. Gut, kommt mit mir, ich will euch zu essen und zu trinken geben. Geld habe ich selbst nicht. Wenn du nämlich keine Fremde wärst, hättest du in mir längst einen Kollegen erkannt. Einen Berufskollegen allerdings.«
    »So bist du selbst ein Bettler?« Sie war erstaunt. »Du siehst aber gar nicht verhungert aus.« »Oh«, lachte der Alte, »ein echter Bettler braucht keine Not zu leiden. Zu essen bekommt er immer. Nur mit dem Geld rücken die Reichen nicht so schnell heraus. Komm mit. Ich werde dich speisen.«
    »Aber mein Bruder«, sagte Isolde, »er kann nicht gehen, nicht einen Schritt.«
    »Ich gebe dir einen Napf voll Cous-Cous für ihn mit. Dann kannst du ihn füttern, nachdem du dich selbst satt gegessen hast.«
    Isolde nickte.
    Sie folgte dem alten Mann. Er nahm Richtung auf die Kasbah. Hier ging es durch Gänge, Gassen und kleinste Gäßchen, die fast wie Hausflure aussahen. Überall lagen oder standen die Männer herum und blinzelten faul in die Sonne. Hier wurde nicht gearbeitet. Die Kasbah ist in jeder Stadt das Viertel, in das sich in späteren Jahrhunderten langsam alle Eingeborenen, soweit sie zu den ärmeren oder auch zu den fanatischen Schichten gehörten, zurückzogen. Damals hatte sie noch nicht den Sinn eines ausgesprochenen Eingeborenenviertels; denn schließlich konnte man die wenigen Europäer in der ganzen Stadt gut und gern an zwei Händen abzählen. Damals hatten hier in erster Linie Diebe und Bettler ihre Unterkünfte. Hier waren sie sicher vor den Garden des Sultans. Selbst in späteren Jahren, in der Zeit der Kolonisierung, vermied es die weiße Polizei ängstlich, die Kasbah zu betreten.
    Der Bettler führte Isolde durch ein wahres Labyrinth von Gängen. Von selbst würde sie nie wieder hier herausfinden. Aber sie hatte großes Vertrauen zu dem Alten. Er sah nicht aus wie ein verkappter Sklavenhändler.
    Manche der Herumliegenden erhoben sich beim Erscheinen der beiden, kreuzten die Arme vor der Brust und machten eine ehrerbietige Verbeugung vor dem Alten.
    Nach einer halben Stunde betraten sie einen saalartigen Raum, der zwar nicht ganz überdacht, doch aber ummauert war. Überall lungerten hier in Winkeln und Ecken zerlumpte Gestalten herum.
    Sie durchschritten den »Saal« und gelangten in einen kleinen

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