Kerrion 3 - Traumwelt
im Bett auf den Ellenbogen aufgestützt, ganz schwarz war das Gesicht, aber ein Lichtstrahl von draußen streifte seine großen vorstehenden Augen und setzte ein kaltes schwefliges Glimmen hinein, bevor alles wieder im Dunkel versank. Hans schloß die Augen sofort. Die alte Kinderüberzeugung kam zu ihrem Recht: Was ich nicht sehe, das sieht auch mich nicht.
Wie werden solche Affären abgewickelt? Entweder es kommt zu großen Katastrophen, oder der Weg zurück in den Alltag ist verdächtig bequem gebahnt. Man erinnert sich, daß Hans manchmal genau dann aufzuwachen vermochte, wann es erforderlich war, und hatte er noch so kurz davor geschlafen. Ohne groß nachzudenken, raffte er seine Kleider zusammen und schlich sich aus der Wohnung. Vor der eigenen zog er sich an. Alsbald saß er im Morgengrauen wieder im Smoking da, als hätte er die ganze Nacht getanzt. Und nach einer Weile -eine halbe Stunde mochte er da schon gehockt haben, lange genug, um glaubwürdig zu hocken auf jeden Fall - versuchte er noch einmal, ohne größere Hoffnung, eine Klingelattacke. Diesmal wurde ihm aufgetan.
Ina war, nachdem sie sich so früh ins Bett gelegt hatte, auch früh erwacht und hatte zu ihrer Beunruhigung soeben festgestellt, daß sie allein im Bett sei. Im Wohnzimmer auf dem Sopha war auch kein Hans. Da klingelte es. Der Arme hatte auf der Treppe übernachtet. Hans tat nichts, um ihren Irrtum zu berichtigen, solange der mit Bedauern und Schuldgefühlen verbunden war. Er sah so verwüstet aus, wie es der Nacht, die er hinter sich hatte, entsprach. Am schlimmsten hatte wahrscheinlich doch der Gin gewirkt. Ina sah ihren zerstörten Mann, und eine Rührung wie in früheren Tagen kam in ihr auf. Sie ging in die Küche und kochte Kaffee. Derweil verschwand er im Badezimmer. Unter der Dusche fühlte er sich gerettet. Er hatte geglaubt, Brittas Geruch, diesen sehr zarten, aber für sie bezeichnenden Geruch nach etwas mild Meersalzigem, vermischt mit Banane, noch an sich zu tragen, und das tat er wahrscheinlich auch. Unter dem kalten Wasser wurde das Kleid der Nacht nun abgewaschen. Es war wie eine Taufe, die alle Klebrigkeit der Vergangenheit auflöste und wegspülte.
Der gewaschene Mensch war der gute Mensch. So mußte einem betrunkenen Landstreicher zumute sein, wenn er ohnmächtig aus dem Rinnstein gesammelt und ins Krankenhaus gebracht wurde und dort in einem sauberen Bett und gewaschen erwachte.
In das Hochgefühl der moralischen Wiederherstellung fuhr aber ein gewaltiger Schreck, als die Wasserstrahlen über seine schaumigen Hände rannen und die Haut unter den Schaumpolstern wieder hervorkam. Wohlgeformte Hände hatte Hans. Bei ihrem Anblick hätte er nicht zu erschrecken brauchen. Alle Finger waren da, die Hände waren heil und schön. Und sie waren so nackt wie der Mann, zu dem sie gehörten.
Der Ehering war weg. Hans trug den Ehering immer noch ungern. So schmal der rotgoldene klassische Reif war, er belästigte ihn. Ihm war, als sitze eine dicke Fliege auf der Hand, und er spielte mit dem nicht sehr festsitzenden Ring gern herum, um den kleinen störenden Druck an immer derselben Stelle vergessen zu machen. Aber ablegen tat er ihn nicht mehr. Vor der Hochzeit hatten sie eine kleine Debatte über Ringe. Er wollte Ina einen schönen, wertvollen alten Ring schenken, und das sollte es dann sein. Sie sollte diesen Ring tragen - der mit seinem großen Stein natürlich keine Ähnlichkeit mit einem
Ehering haben würde -, und seine eigenen Hände blieben frei. Den bewußten Ring wollte Ina gern annehmen, in der Frage der Eheringe ließ sie aber nicht mit sich handeln. Er komme sich mit dem Ring wie eine auf der Vogelkoje in Sylt beringte Wildgans vor, sagte Hans, aber Ina entgegnete, genau das sei er ja auch, das sei eben auch der Zweck der gesamten Hochzeitszeremonie: Beringung, und das heiße eben wie bei den Wildgänsen auch Überwachung. Sie ging nicht soweit, von einer - auf andere Frauen jedenfalls - enterotisierenden Wirkung von Eheringen zu sprechen, aber es war klar, daß sie etwas Ähnliches meinte.
»Du trägst einen Ehering«, sagte Ina, und also tat er das, bis heute morgen jedenfalls.
Wo war der Ring? Das war die eine drängende Frage. Wann würde Ina sein Fehlen bemerken? Das war die andere, noch drängendere. Er konnte es mit einer harmlosen Lüge versuchen, was die Franzosen mit ihrer Neigung, eine Fachterminologie für heikle Lebenssituationen zu entwickeln, »un mensonge blanc« nannten. Der Ring konnte ihm
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