Kerstin Gier 2
im Anzug angelaufen. »Aqui está!«, ruft sie und zeigt auf den Putzwagen. Schnell lasse ich den Griff los. Beide mustern mich seltsam. »Dieser Wagen steht schon die ganze Zeit hier rum. Ich wollte gerade der Rezeption Bescheid geben«, sage ich hastig, drehe mich um und husche zurück ins Appartement. Dann gehe ich eben vorne raus. Doch in dem Moment höre ich Stimmen vor der Tür und den Schlüssel, der ins Schloss gesteckt wird. Familie Hirsch kommt zurück! Ach du meine Güte! In meiner Panik springe ich ins Elternschlafzimmer und werfe mich aus Mangel an Alternativen unters Bett. Zum Glück bin ich eine ordentliche Hausfrau und habe auch hier gewischt. Mit Indianergeheul entern die drei Kinder das Wohnzimmer und fangen augenblicklich an, Spielzeug aus den Kisten zu kippen. »Oh, Lenka hat ja mal richtig aufgeräumt«, säuselt Yvonne Hirsch. Sie stöckelt auf ihren High Heels ins Schlafzimmer. Ich sehe durch den Schlitz von Überdecke und Boden ihre schlanken Fesseln einem Rock entsteigen, dann macht sie sich am Schrank zu schaffen. Hilfe! Ich bin eine Gefangene! An meinem freien Tag liege ich in einem fremden Appartement unter einem Bett und kann nicht weg! Der einzige Lichtblick ist, dass ich hier unten einen Stapel Fürstenromane entdecke. Aha! Da war The Overdings of Dr. Freud wohl auch nur für die Galerie. Yvonne Hirsch schlüpft in Frottee-Shorts und Sandalen und geht hinaus. »Bis später«, ruft sie.
»Ja, tschüs, viel Spaß bei der Massage!«, lautet das Echo von Mann und Kindern. Okay, der Hausdrachen ist weg. Meine Fluchtchancen steigen. Egon geht ins Wohnzimmer und schließt die Tür. Es erschallt Filmmusik. Die hängen also vor der Glotze. Da kann ich mich aus meiner Deckung wagen. Ich will mich gerade rausrollen, da kommt Egon Hirsch zurück. »Und dass ihr mir das zu Ende guckt und Papa nicht stört.« Er schließt die Tür zum Wohnzimmer und kommt ins Schlafzimmer. Er steht vor dem Bett, scheinbar regungslos, doch dann sinkt seine beigefarbene Leinenhose zu Boden. Was soll’s. Warte ich eben noch zwei Minuten, bis er umgezogen ist. Schlimmer kann es sowieso nicht mehr werden. »Komm her«, sagt Egon, plötzlich mit rauer Stimme. »Du siehst geil aus in deinem Bikini!« Frauenbeine erscheinen. Ich erkenne die ausgelatschten Espadrilles sofort. Klackern des Türschlosses. Oh nein. Nein, nein, nein!
»Ist Ziege weg?«, fragt Lenka.
»Ja«, haucht er erregt. »Wir haben zwei Stunden. Ich habe ihr auch die Gesichtsbehandlung gebucht.«
»Du Sau«, sagt Lenka und wirft ihn aufs Bett. Ich schließe die Augen. Was mir natürlich überhaupt nichts nutzt, weil sehen kann ich sowieso nichts. Zur Ablenkung versuche ich es mit Meditation. Dann muss ich plötzlich kichern. Anstatt transzendentale Meditation mache ich horizontale Meditation! Eine gefühlte Ewigkeit später sind sie fertig und verschwinden unter der Dusche. Ich rolle mich unter dem Bett hervor, taumele durch den Flur und bin unglaublich erleichtert, als ich unbehelligt die Tür von Appartement Nummer zehn hinter mir schließe. Ich gehe an den Hafen, setze mich auf eine Bank mit Blick übers Meer, Gedanken purzeln durch mein Hirn, plustern sich auf und platzen wieder, bis nur noch einer übrig ist. Meine Familie. Plötzlich vermisse ich sie. Und zwar sehr heftig. Ich renne nach Hause und halte nur einmal kurz an, um für alle Brathähnchen zu kaufen. »Hallo Schatz«, ruft Ralf, als ich reinkomme. »Du hattest wohl einen schönen Tag. Du siehst schon viel entspannter aus.«
»Das bin ich auch«, sage ich. »Es war außerdem äußerst lehrreich. Obwohl ich viel mehr gelernt habe, als ich wollte.«
»Muss ich das verstehen?«, fragt er.
»Nein«, sage ich und gebe ihm einen Kuss. Und dann fange ich an zu lachen. Nach dem Essen auf unserer Terrasse verfrachten wir die Kinder ins Bett und gucken uns den Sonnenuntergang an. »Von hier oben kann man sogar das Restaurant sehen, wo wir letztes Jahr den leckeren Fisch gegessen haben«, sagt Ralf.
»Nein, ehrlich?« Wir gehen ans Geländer und entdecken tatsächlich das rote Dach zwischen den vier Palmen.
»Und siehst du dahinten, die nächste Bucht!«
»Tatsächlich!«
Ich atme die klare Luft, die vom Zirpen der Grillen erfüllt ist, und schaue mich um. »Und auf dieser Terrasse kann uns auch keiner sehen. Oder hören!«, stelle ich fest.
»Ja«, sagt Ralf. »Wir könnten uns zum Beispiel richtig streiten – und keiner kriegt es mit.«
»Oder wir könnten was anderes machen«, sage ich
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