Kerstin Gier 2
der Junge.
»Ist in Ordnung. Aber dafür will ich absoluten Gehorsam. Kein Gerenne, kein Gemaule, kein Gezanke. Verstanden? Marlon? Alessandra? Victoria?«
»Ja, Mama«, klingt es eingeschüchtert aus drei Kehlen. Alles klar. Das Erziehungskonzept habe ich verstanden. Erpressung. Das wird doch noch ein guter Tag. Es ist einfach wunderbar zu sehen, dass bei anderen auch nicht alles Gold ist, was glänzt.
»So, ihr drei. Dann ab ins Auto«, sagt der Vater.
»Ich komme gleich nach«, sagt Yvonne Hirsch. Sie wartet eine Minute, bis die Schritte leiser werden. »So, Lenka. Du räumst jetzt auf und putzt. Wenn wir wieder da sind, ist es blitzeblank, verstanden?« Diese Stimme! Wenn ich eine Synchronstimme für ein furchterregendes Monster suchen würde, dann würde ich Yvonne Hirsch engagieren. Da bekommt man ja Gänsehaut! Trotzdem wagt es Lenka zu widersprechen: »Ich für Kinder zuständig, nicht für Putzen«, sagt sie aufmüpfig.
»Was bildest du dir eigentlich ein. Meinst du, ich habe ein Au-pair nur für die Kinder?«
»Nein«, sagt Lenka mit merkwürdigem Unterton. »Aber Putzfrau kann machen sauber.«
»Du weißt, dass ich es hasse, wenn jemand Fremdes an meine Sachen geht. Also, los. Sonst schicke ich dich zacki, zacki zurück nach Estland.« Die Stöckelschritte verhallen auf den Fliesen, Lenka flucht in ihrer Muttersprache, und ich will gerade den Besen auf den Putzwagen hängen und mich davonstehlen, da guckt Lenka plötzlich um die Ecke. »Sprechen deutsch?«, fragt sie. Ich nicke perplex. »Ja.«
»Dann machen Appartement zehn sauber.« Ihr Blick ist hart und unnachgiebig. Sie ist vielleicht gerade einmal zwanzig, aber offensichtlich schon mit allen Wassern gewaschen. Ich stehe einen Moment wie angewurzelt da. » Jetzt , bitte«, sagt Lenka und lächelt nicht. In der Nähe höre ich plötzlich jemanden aufgeregt auf Spanisch reden und – so viel verstehe ich – irgendetwas suchen. Das kann nur die Putzfrau sein, die ihren Wagen vermisst, den ich gestohlen habe. Ohne weiter nachzudenken, schiebe ich den Wagen auf die andere Terrasse und husche nach Lenka ins Appartement Nummer zehn, wo ich vor Schreck einen Schrei ausstoße. Das ist so entsetzlich wie ein nicht retuschiertes Bild von der ungeschminkten Madonna! Im Vergleich zur gepflegten Optik von Familie Perfekt sieht es hier drinnen aus wie auf einem Schlachtfeld. Kein Wunder, dass Yvonne keinen Fremden reinlassen will. Überall Essensreste, Spielzeug-Einzelteile, Klamotten und Krümel. Was für ein Schock! Zum Glück muss ich hier nicht wirklich aufräumen. Lenka wird sicher – nachdem sie sich gerade einen freien Tag organisiert hat – an den Strand gehen und die südliche Sonne genießen. Und sobald sie weg ist, mache ich die Biege. Ich stehe also unschlüssig herum und warte, dass sie abhaut, aber sie steht einfach nur da und mustert mich abschätzig. »Worauf warten?«, fragt sie herausfordernd. »Soll ich rufen Manager und ihm fragen, wann Sie fangen an?«
»Nein«, rutscht es mir raus. »Nicht den Manager!« Dieser aufgeblasene Wichtigtuer. Der würde mich mit Freuden bei der Polizei anzeigen und rausschmeißen und mir Hausverbot erteilen. Mit Sicherheit. So ein Mist! Mir bleibt keine andere Wahl. Mürrisch fange ich an, Spielzeug aufzuheben und in eine leere Kiste zu schmeißen.
»Geht doch«, sagt Lenka, »und ich sage eins: Ich Sie nicht lassen raus, bis fertig.« Dann holt sie sich ein Bier und eine gigantische Tüte Chips und hockt sich vor den Flatscreen-Fernseher. Ich kann es nicht fassen! Anstatt irgendetwas Schönes und Wundervolles zu machen, verbringe ich meinen freien Tag damit, bei Familie Horror zu putzen! Ich sammele gigantische Mengen Spielsachen ein, spüle verkrustete Teller und putze sogar das Klo! Wie komplett erniedrigend ist das denn? Nach zweieinhalb Stunden sieht es endlich manierlich aus. Lenka scheint mit meiner Arbeit zufrieden zu sein, denn sie verschwindet in ihrem Zimmer und tauscht die unförmigen Klamotten gegen einen äußerst knappen Bikini, den sie trotz ihrer Körperfülle mit enormem Selbstbewusstsein präsentiert. Sie schnappt sich ein Handtuch. »Machen Tür zu, wenn fertig, ja?«, sagt sie, setzt eine Sonnenbrille auf, zieht Espadrilles an und geht durch die Terrassentür in Richtung Strand. Gott sei Dank! Sobald sie außer Sichtweite ist, schiebe ich den Putzwagen auf die Terrasse und will gerade die Tür hinter mir zuziehen, da kommt eine schwarzhaarige Frau im Kittel in Begleitung eines Mannes
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