Kerstin Gier 2
sogar in der Bar, in der ich gnädigerweise arbeiten durfte, nach meinem Lohn erkundigen, nur um zu überprüfen, ob ich ihn auch nicht beschwindelte. So stellte ich mir das jedenfalls vor, wenn ich nachts nicht schlafen konnte.
Ich hatte schon echtes Glück mit Herrn Grenzmeier.
Es war nicht so, dass ich mich nicht bemühte, einen besseren Job zu finden. Einen, bei dem ich mehr verdiente. Aber ich bekam keinen. Das lag zum Teil daran, dass ich nichts gelernt hatte. Ein abgebrochenes Kunstgeschichtsstudium hat mit einer Berufsausbildung rein gar nichts zu tun. Ich hatte jung einen vermögenden, zwanzig Jahre älteren Mann geheiratet, der nicht wollte, dass seine Frau arbeitete, damit sie sich ganz aufs Kinderkriegen und Ehefrauendasein konzentrieren konnte, und mal ehrlich, wenn man zweiundzwanzig ist und gerade eine Krise hat, ob das Studienfach denn nun wirklich auch das Richtige für einen ist, findet man so ein Angebot sehr verlockend.
Ja, hätte ich damals vernünftigerweise mein Studium beendet und das Heiraten und Kinderkriegen ein wenig nach hinten verschoben … dann hätte ich bessere Chancen gehabt, einen halbwegs okay bezahlten Job zu bekommen. Und ich hätte auch keine 500.000 Euro Schulden.
Das mit den Schulden kam so: Mein lieber Ehemann Robert war Investmentberater. Dazu noch ein sehr erfolgreicher. Er sagte die Finanzkrise voraus, überstand sie nicht nur unbeschadet, sondern schaffte es sogar, Gewinne daraus zu ziehen. Wir waren zu dem Zeitpunkt gerade fünf Jahre verheiratet, und Robert fand, es sei an der Zeit, dass ich, wie er es nannte, auch mal Verantwortung übernehme und die Zukunft unserer Tochter in die Hand nehme. Es klang wirklich gut, wie er mir das erklärte, und wenn man fünf Jahre mit jemandem verheiratet ist, den man liebt, dann hinterfragt man nicht unbedingt, was er einem zur Unterschrift vorlegt. Dann unterschreibt man einfach, weil man demjenigen vertraut. Man rechnet nicht damit, dass derjenige einen Plan hat, von dem man erst erfahren wird, wenn es schon zu spät ist. Wenn es morgens um sieben an der Tür klingelt und man von netten Herrn, die sich als Steuerfahnder vorstellen, im Nachthemd mit der heulenden Tochter auf dem Arm überrascht wird.
Ich war zu dem Zeitpunkt schon seit einer halben Stunde wach. Was mich geweckt hatte, wusste ich nicht mehr. Ich wachte einfach auf mit dem Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Das Bett war neben mir leer. Ich stand auf, um nach Robert zu sehen. Halb sieben war nicht die Zeit, zu der er aufstand. Normalerweise klingelte sein Wecker erst um halb acht, und da wir zu diesem Zeitpunkt noch eine Kinderfrau beschäftigten, gab es für mich keinen Grund, mich früh aus dem Bett zu quälen, um die Kleine in den Kindergarten zu schleppen. Also ging ich durchs Haus, fand Robert nicht, dafür aber einen zur Hälfte leergeräumten Kleiderschrank. Louise war in der Zwischenzeit wach geworden, und als sie ihren Papa nicht finden konnte, der sich doch sonst jeden Morgen mit einem Küsschen von ihr verabschiedete, fing sie an zu weinen. Und dann klingelte auch schon die Steuerfahndung, um mir höflich einen Durchsuchungsbeschluss vors Gesicht zu halten.
Kurz gesagt: Sie fanden nichts, was ihnen Aufschluss über den Verbleib meines Mannes hätte geben können. Aber sie fanden irgendwelche Papiere, auf denen meine Unterschrift war, und schon hatte ich 473.284,91 Euro Schulden bei Bank und Finanzamt, musste aus unserer Villa ausziehen und mir einen Job suchen.
Anfangs war ich noch optimistisch und dachte, als Halbakademikerin mit einem nicht allzu schlechten Abitur müsste sich ein netter kleiner Bürojob finden lassen. Und wenn ich als Empfangsdame arbeiten würde. Ich war mir sicher, etwas in der Richtung zu finden. Vorsichtshalber verschwieg ich meine Tochter im Lebenslauf, ich hatte gehört, dass alleinerziehende Mütter nicht allzu gefragt waren auf dem Arbeitsmarkt. Tatsächlich wurde ich auch fast überall zum Gespräch eingeladen. Leider liefen die Gespräche alle ziemlich identisch ab (Man muss sich im Hintergrund noch ein paar stumm grinsende Kollegen vorstellen, die einfach nur dabeisitzen):
»Sie haben nicht fertig studiert?«
»Nein, aber …«
»Weil Sie reich geheiratet haben, was?« (Grinsen)
»Ja, aber …«
»Sooo, was haben wir denn da … Während des Studiums in Bars gejobbt. Was waren das denn für Bars? Haben Sie da Ihren Mann kennengelernt?«
»Nein, das …«
»Also so wirklich gearbeitet haben Sie in Ihrem Leben wohl
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