Kerzenlicht Für Eine Leiche
Meredith als auch Alan waren längst verstummt. Alan dachte wahrscheinlich an die bevorstehende Befragung. Mere dith gingen eine Menge alter Erinnerungen durch den Kopf. Als sie sich der nordwalisischen Küste näherten, kam die Sonne hervor. Doch der Wind ließ nicht nach. In Rhos-on-Sea war die Promenade von tobender Gischt überspült. Die Wellen brandeten wie irrsinnig gegen die Kaimauer und sandten Schauer von Kieselsteinen und Sand über die Straße. Strände und Promenade lagen verwaist, trotz des Sonnenscheins. Urlauber drängten sich in Cafés und Restaurants oder unternahmen Ausflüge ins Hinterland. Susan Tempests Haus stand im krassen Gegensatz zum Tosen des Ozeans und dem stürmischen Wind. Es sah aus wie eine Oase der Ruhe. Es war ein großer Bungalow mit weißen Wänden, der in einem gepflegten Garten ein Stück weit von der Straße zurückstand. Er hatte Stabwerk-Fenster, und die Eingangstür war durch eine verglaste Veranda vor Wind und Wetter geschützt. Im Innern hingen zu beiden Seiten der Tür große Kästen mit Geranien und Lobelien. Alles sah gemütlich und äußerst respektabel aus. Markby fuhr an den Straßenrand.
»Ich werde vielleicht eine Stunde weg sein. Warum fährst du nicht weiter nach Llandudno und siehst dich ein wenig um? Halt nach einem schicken Restaurant Ausschau.« Sie sah ihm hinterher, während er über den Weg zur Tür ging und die Tür der Veranda öffnete. Markby trat ein und betätigte die Glocke. Meredith hätte jetzt eigentlich weiterfahren sollen, doch mit der Ausrede, dass sie zuerst sicher sein wollte, ob jemand Markby öffnete oder ob niemand zu Hause war, blieb sie noch. Die Wahrheit lautete allerdings, dass sie genauso neugierig war wie Markby selbst zu sehen, was für eine Person diese Susan Tempest war. Die Tür wurde geöffnet. Meredith erhaschte einen undeutlichen Blick auf eine weibliche Gestalt, untersetzt und enttäuschend normal. Markby trat ein, und die Tür wurde wieder geschlossen. Meredith stand im Begriff davonzufahren, als sie das Geräusch eines Motorrads vernahm. Überrascht, dass jemand an einem Tag wie diesem mit dem Motorrad unterwegs war, blickte sie in den Rückspiegel und sah hinter sich eine ledergekleidete Gestalt herankommen, gesichtslos hinter der rauchglasfarbenen Scheibe des Sturzhelms. Das Motorrad hielt an, die Gestalt stieg von der Maschine, zögerte einen Augenblick und kam dann zum Wagen. Sie nahm den Helm ab und beugte sich zum Fenster der Fahrertür hinunter. Es war ein Jugendlicher von vielleicht neunzehn Jahren mit langen braunen Haaren und unreiner Haut. Meredith kurbelte das Fenster herunter, und beide blickten sich abschätzend an.
»Halten Sie mich bitte nicht für frech oder so etwas«, sagte der Jugendliche, »aber dürfte ich erfahren, was Sie hier draußen vor unserem Haus suchen?«
»Mr. Tempest?«, erkundigte sich Meredith.
»Ich bin Glyn Tempest, ja. Mr. Tempest war mein Vater. Er ist tot. Sie haben nicht zufällig etwas mit der Polizei zu tun, oder? Weil sich nämlich für heute irgend so ein hohes Tier von der Polizei bei meiner Mutter angemeldet hat.«
»Ja – ich meine nein. Ich bin keine Polizistin, aber Superintendent Markby ist soeben nach drinnen gegangen.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, und der Wind zerzauste sein langes Haar.
»Ich bin vorbeigekommen, weil ich Mutter helfen wollte«, sagte er.
»Sie hat genug durchgemacht. Erst wurde Dad vor ein paar Jahren getötet, und jetzt das hier. Es ist nicht ihre Schuld! Ich meine, das alles liegt doch in der Vergangenheit!«
»Ich bin sicher, Superintendent Markby wird die Befragung mit dem gebotenen Takt durchführen.«
»Das wäre auch besser für ihn!«, sagte Glyn trotzig.
»Dafür werde ich sorgen!« Er stapfte über den Weg zum Haus davon, den Helm unter den Arm geklemmt, und öffnete die Eingangstür. Als er im Innern verschwunden war, überlegte Meredith, ob sie bleiben sollte – für den Fall, dass Markby Unterstützung benötigte. Doch er war wahrscheinlich durchaus im Stande, mit Glyn Tempest fertig zu werden, der trotz seiner Drohgebärden kein besonders kräftig gebauter junger Mann war.
»Mama kann Ihnen nicht helfen! Ich weiß überhaupt nicht, warum Sie gekommen sind und sie belästigen!«
Markby warf Glyn Tempest einen verärgerten Blick zu. Er war nicht den ganzen weiten Weg hier heraus gefahren, um sich mit einem pickligen Grünschnabel in Ledermontur zu unterhalten.
»Schon gut, Glyn, schon gut«, sagte Mrs. Tempest
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