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Kesrith – die sterbende Sonne

Kesrith – die sterbende Sonne

Titel: Kesrith – die sterbende Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
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Niun drehte sich um und betrachtete wieder das Edun, von dem nicht einmal Flammen geblieben waren, und sein Magen verkrampfte sich, eine Verdrehung, die seine Gelenke schwächte und ihn schwindelig werden ließ. In diesem Moment hätte er sich gewünscht, keine Sinne zu haben, schwach zu sein, zu stürzen, zu Boden zu sinken, irgend etwas anderes zu tun, als weiterhin nur hilflos dazustehen.
    Tot, tot, sie alle.
    Er stand da und wußte nicht, ob er zu der Ruine am Hafen zurückkehren oder in der alten Richtung weitergehen sollte, oder ob es einen Grund gab zu gehen oder etwas anderes zu tun, als nur sitzenzubleiben, wo er war, bis zum Morgen, wenn die Regul kommen würden, um die Sache zu Ende zu bringen. Er fand keine Grenze für das, was Sinne aufnehmen konnten. Er empfand. Er war nicht taub. Er wünschte sich nur, taub zu sein, vom Wind zerschlagen worden zu sein, der der Nacht die Geräusche gestohlen hatte und an seinen Gewändern zerrte, ein stetiges Schnappen von Stoff, das hier lauter war als die Stille, die über alles andere gefallen war.
    Das Volk war tot.
    Er war geblieben. Für Überlebende gab es Pflichten, Ehrbezeugungen, Riten, die vollzogen werden wollten. Er hatte nicht Medais Temperament.
    Er steckte die Pistole ins Halfter, klemmte die eisigen Hände unter die Arme und fing an, über die Lebenden nachzudenken.
    Die Hand des Volkes, ein Kel'en. Und seine Angehörigen waren zu begraben, wenn die Regul das nicht schon getan hatten, als sie sie töteten – und danach wartete dann ein Krieg, den auszukämpfen die Regul vielleicht nicht erwarteten.
    Und dann wandte er seine Augen zur Felsbank und sah seinen menschlichen Gefangenen und begegnete dessen Augen. Auch dort war ein Mann, der auf den Tod wartete, der auch in kleinem Maßstab wußte, was Leere war.
    Er konnte ihn töten und danach allein sein, in einer ungeheueren Stille, ein winziger Gewaltakt nach den Kräften, die über die Himmel von Kesrith gestürmt waren und die Welt in Trümmer gelegt hatten.
    Ein winziger und armseliger Akt. Rache für eine Welt erforderte jedoch etwas von gleicher Statur.
    »Steh auf!« sagte er ruhig, und Duncan rappelte sich auf, die Schulter gegen den Felsen gestützt, und starrte Niun an.
    »Wir werden den Hügel hinaufgehen«, erklärte er Duncan, »zum Haus meines Volkes. Ich denke nicht, daß noch mehr Flugzeuge kommen.«
    Duncan wandte sich um und sah, und ohne zu zö- gern, ohne zu fragen, setzte er sich als erster in Bewegung.
    Die Welt um sie herum war verändert. Orientierungspunkte in der Landschaft, die es schon seit Äonen auf der Dus-Ebene gegeben hatte, waren verschwunden. Mit kochendem Wasser gefüllte Narben durchzogen den Boden. Duncan, der blind und entschlossen vorausging, trat fehl und bis zum Knie in eine solche Narbe, ohne mehr als einen rauhen Schluchzer des Erschreckens von sich zu geben. Niun packte ihn und zerrte ihn zurück und stützte ihn, während der Mensch nur dastand und nach Luft schnappte.
    Danach ließ Niun die Hand auf Duncans Arm liegen und führte ihn, denn er kannte den Weg, und er bewahrte den Menschen vor einem weiteren Fehltritt.
    Das Licht kam, das rote Licht Arains, schmutzig und düster. Niun blickte zum Hafen zurück und erkannte im ersten Licht die volle Wahrheit von dem, was er bereits gewußt hatte, daß nichts überlebt hatte.
    Weder die AHANAL noch die HAZAN.
    Als er zu dem Hügel blickte, auf dem das Edun des Volkes gestanden hatte, da war es eins geworden mit dem Sand und den Felsen – als ob dort niemals etwas von Händen Errichtetes gestanden hätte.
    In dem Licht erkannte er auch, welcher Preis ihm zugefallen war, eine erschöpfte Kreatur, die um jeden Schritt nach oben kämpfte, deren Gesicht und Mund mit dem Blut besudelt waren, das ständig weiter aus der Nase strömte – es war nicht sicher, ob durch Verletzung oder die ätzende Atmosphäre hervorgerufen. Die Augen waren fast geschlossen, der Tränenstrom war kein Zeichen von Gefühlen, sondern mißhandeltem Gewebe – ein Gesicht, nackt in der Sonne, und ungebührlich, und eher verwirrt als böse; Niun konnte sich nicht vorstellen, warum der Mensch um diesen Preis weiterging, mit so wenig Belohnung in Aussicht – leichter war bei weitem der Tod durch die Gewalt des Landes als das, was Mri und Menschen vierzig Jahre lang untereinander ausgetauscht hatten.
    Es gab jedoch einen Punkt, jenseits dessen kein Denken mehr stattfand, wo es nur noch die Tatsache gab, daß man lebte, und daß das Leben

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