Kesrith – die sterbende Sonne
der She'pan liegen mußte, und dorthin wandte er sich langsam, keuchend und mühselig, als er beim Näherkommen zu seinem Schrecken bemerkte, daß es Stufen gab, die sich immer höher bis zum Gipfel wanden.
Ein Schrei hallte von oben her wider. Doch er sah niemanden, setzte seinen qualvollen Marsch fort, Stufe für Stufe, vorbei an schlammverschmierten Wänden, die primitiv geschmückt waren mit groben Mustern oder Symbolen, so unregelmäßig und stilisiert gepinselt, daß es unmöglich schien, sie zu enträtseln, selbst wenn man das System der Mri kannte. Figuren in Schwarz und Gold und Blau wanden sich an Decke und Wänden die Biegung des Korridors entlang. Sie mochten religiöser Natur sein: wieder etwas, das die Mri nie erklärt hatten – böse Geister abzuschrecken oder sie auf Eindringlinge zu hetzen; oder vielleicht fanden sie das einfach schön. Es ließ sich nur schwer mit der modernen Beleuchtung vereinbaren und mit den anderen Anzeichen dafür, wie gut die Mri mit den Regul-Maschinen umgehen konnten – ein Volk, das den Flug zu den Sternen beherrschte und doch so primitiv lebte. Die Türen, welche die Halle schützten, von wo aus die She'pan regierte, waren aus Stahl wie die meisten Türen im Edun. Sie stammten aus der Regul-Produktion, und der Stahl betonte noch die Schlamm- und Binder-Architektur.
»Sie schrecken nicht davor zurück, ihre Schlammlöcher mit gutem Regul-Metall auszustatten«, sagte Chul mit gesenkter Stimme. Aber das Jungling sparte sich weitere Kommentare, als Hulagh es scharf anblickte, denn das scharfe Gehör der Mri war legendär.
»Öffne die Tür!« sagte Hulagh.
Als Chul das getan hatte, sog er zischend die Luft ein, denn genau vor ihnen stand ein Mri, ein schwarzverschleierter Kel'en, selbst noch ein Jungling. Zumindest schloß Hulagh das aus der makellosen klaren braunen und goldenen Haut. Er war grausam, unverschämt, barbarisch, ein goldener Mann, geschmückt mit schwarzer Farbe und Waffen, kriegerische Werkzeuge, zu denen sogar ein altertümliches langes Messer am Gürtel gehörte. Sofort dachte Hulagh schmerzvoll an Medai, der genauso ausgesehen hatte. Es war, als wäre er einem Geist begegnet.
Die beiden Junglinge standen sich gegenüber, und es war der Regul, der einen Schritt zurücktrat, eine Schwäche, die Hulaghs Kopf mit einer Welle zorniger Hitze erfüllte.
»Wo ist die She'pan?« fragte Hulagh scharf, verlegen durch die Niederlage seines Fahrers und bemüht, die Regul-Würde wiederzufinden. »Junger Mri, komm aus der Tür und rufe jemanden, der etwas zu sagen hat. Du wärest gut beraten, wenn du mich der She'pan melden würdest.«
Der Mri drehte sich geschickt auf dem Absatz und entfernte sich, still, würdevoll, ohne Ehrfurcht. Ein Mri-Krieger. Hulagh haßte die ganze Sippschaft. Sie waren als Volk total ungehobelt, und ihre Junglinge bestärkten sie noch darin. Die Jugend stank nach Weihrauch, wie der ganze Edun. Der Geruch hing in der Luft, und Hulagh kämpfte gegen den Niesreiz an, das Bedürfnis, seine vergewaltigten Atemwege zu reinigen. Seine Beine bebten vom langen Aufstieg. Er ging hinein, beugte die Knie und senkte seinen Körper um den geringen Betrag, der nötig war, um sich ganz auf den Teppich zu setzen. Die Möbel der Mri, von denen es ohnehin nur den Ehrenstuhl der She'pan gab und zwei Bänke am Eingang, waren zu hoch und zu zerbrechlich für einen erwachsenen Regul, noch konnte ein Regul stehenbleiben und sein Körpergewicht eine Zeitlang tragen.
Bei Beachtung der richtigen Höflichkeitsregeln hätte der Jungling zusammen mit einigen Artgenossen geeignetes Mobiliar heranschaffen müssen. Aber dies war allem Anschein nach ein armes Edun und vielleicht gar nicht gewohnt, mit Regul-Besuchern umzugehen. Wenigstens waren die Teppiche sauber.
Rufe hallten durch die Tiefe der Halle jenseits der Trennwand, die den privaten Bereich der zentralen Kammer abschirmte. Hulagh zuckte innerlich zusammen über die Ungehörigkeit dieses Verhaltens, und Chul bewegte sich unbehaglich. Kurze Zeit spä- ter füllte sich der Raum mit weiteren Kriegern, ebenfalls verschleiert und bewaffnet.
»Bai«, sagte Chul. Furcht lag in seiner Stimme.
Hulagh bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. Dieses ahnungslose Jungling! Auch wenn sie noch so schamlos und anmaßend waren, so blieben die Mri doch Untergebene der Regul, und sie hatten sich freiwillig unterworfen, nicht durch Zwang. Mri hatten viele Eigenschaften, vor allem waren sie unhöflich, aber sie waren nicht
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