Kesrith – die sterbende Sonne
noch bestürzt über diese kurze Frist. »Tatsächlich, Bai?«
»Sobald wie möglich. Wir sind schon soweit mit unseren Verladearbeiten.«
Die She'pan sah ihn weiter an und dachte darüber nach. »Und unsere Dusei?« fragte sie.
»Und die Dusei, für jeden eines«, gestand Hulagh widerwillig zu und überschlug im Geist, daß damit die doppelte Menge Vorräte nötig wäre, um die Mri zu versorgen. Er hatte gehofft, keine Dusei mitnehmen zu brauchen; aber als er die Sache überdachte, kam er zu dem Schluß, daß die häßlichen Tiere die Mri zufriedenhalten würden, da sie deren Reichtum bedeuteten, und es war sehr wünschenswert, daß die Mri ruhig blieben.
»Wir werden darüber beraten«, sagte die She'pan, ihre Hand auf der Schulter des jungen Kriegers, der neben ihr saß, und auf der anderen Seite hockte schweigend die goldgekleidete junge Frau.
»Wir haben keine Zeit für lange Beratungen«, widersprach Hulagh.
»Ah«, sagte die She'pan. »Dann hast du von diesem Schiff gehört.«
Das Blut wich aus Hulaghs Gesicht und nahm nur langsam seinen normalen Kreislauf wieder auf. Er schaute das Jungling nicht an, in der Hoffnung, daß dieses nicht genug Verstand hatte, diese Beleidigung und Demütigung woanders wiederzugeben, bei seinen anderen Junglingen. Es gab jedoch nur wenig Hoffnung dafür.
»Ja«, sagte Hulagh, »natürlich haben wir davon gehört. Trotzdem sorgen wir dafür, daß unsere Abreise beschleunigt wird. Wir sind mit dem eintreffenden Schiff nicht vertraut, aber zweifellos...« Er stockte über der Unwahrheit, die er aussprechen mußte, das erstemal in seinem Leben war er gezwungen zu lü- gen, im Interesse der Regul, für das Wohl der Junglinge, die unter seinem Schutz standen, und am allermeisten wegen seiner eigenen Ambitionen und damit sein Wissen erhalten blieb. Aber er kam sich ekelhaft und schmutzig dabei vor. »Nachdem ihr an Bord seid, werden wir bestimmt dieses Schiff von euch aufhalten und es ebenfalls in die Sicherheit unserer inneren Gebiete geleiten.«
»Das würdet ihr erlauben?« Die trockene alte Stimme, bedeutungsschwer und vorsichtig, enthielt keinerlei Schwankungen, die Emotionen und versteckte Bedeutungen verraten hätten. »Sollen die Mri letztendlich doch zur Regul-Heimatwelt gehen? Ihr habt uns niemals ihre Lage verraten, Bai.«
»Dennoch...« Er konnte nicht auf dieser Lüge aufbauen. Er war nicht in der Lage, sie zu vollenden, die allerhöchste Unmoral: fälschen, die Unwahrheit in das Gedächtnis lassen, die nie mehr vergessen werden konnte. Er hatte diese Methode bei Fremdweltlern kennengelernt. Er hatte ihnen dabei zugesehen, verwundert und erschrocken; er hatte erfahren, daß Menschen regelmäßig logen. Er fühlte, wie seine eigene Haut angesichts dieser Ungeheuerlichkeit kribbelte, seine Kehle zog sich zusammen, als er versuchte, seine Behauptung zu konkretisieren, und er wußte, wenn er es ablehnte, darauf aufzubauen, würde er keinen Glauben finden. Und dann wäre er gefangen, hätte seine Glaubwürdigkeit verloren, mit fatalen Folgen für die Mri, mit unglücklichen Konsequenzen für die Regul unter seinem Kommando und für seine eigene Zukunft.
Wenn man auf Nurag davon erfuhr...
Aber dies hier waren nur Mri, minderwertiges Volk. Sie hatten nicht so ein Gedächtnis wie Regul, und in ihnen würde die Lüge nicht so fortleben wie bei den Regul. Wahrscheinlich würde die Sünde dadurch zumindest etwas geringer.
»Dennoch, She'pan«, sagte er, seine Stimme vorsichtig unter Kontrolle haltend. »Es ist so. Die Verhältnisse sind jetzt anders. Wir werden uns hier nicht mehr so lange aufhalten, wie eigentlich geplant. Wir werden das Verladen so schnell wie möglich beenden.«
»Habt ihr Angst, daß wir in die Hände der Menschen fallen?«
Das kam der Wahrheit zu nahe. Hulagh saß still, schaute die She'pan an und befürchtete eine tiefere Bedeutung in ihren Worten. Mri waren wahrhaftig wie Regul. Er wußte dies aus der Überlieferung all seiner Vorgänger, ihren Unterlagen, aus denen er gelernt hatte, von einer Ahnenreihe, die Aufzeichnungen gemacht hatte, von deren Wahrheitsgehalt die gesamte Vergangenheit und daher auch die Zukunft abhing.
Waren die Vorfahren ebenfalls zur Lüge verführt worden, um kleine Spiele mit Wahrheit und Wirklichkeit zu spielen?
Hatten sie das tatsächlich getan? – Allein dieser Zweifel beschleunigte Hulaghs überforderte Herzen, zog den Boden unter seinen stärksten Überzeugungen weg und ließ alles in Ungewißheit. Doch trotz
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