Kesseltreiben
Badeanzug oder im Bikini gesehen. Und selbst wenn sie nackt gewesen wäre, hätte sich niemand etwas Perverses dabei gedacht. So war sie nicht, Mensch.«
»Können Sie sich noch an den 12. August 1983 erinnern?«, fragte Schnittges. »An den Tag, an dem Kevin Pitz ermordet wurde.«
Goossens huschte ein Schatten übers Gesicht.
»O ja«, sagte er. »Als wäre es gestern gewesen. Komisch, eigentlich, aber, na ja.«
»Würden Sie uns diesen Tag schildern, so detailliert wie irgend möglich.«
»Ich will es gern versuchen.« Er machte die Augen zu.
»Wir haben zu Hause Mittag gegessen, und danach wollten mein Bruder und ich zu Sabine und Sebastian. Es waren Ferien, und bei Maasens war’s schön, irgendwas hat Sabine sich immer ausgedacht. Einmal haben wir einen Hindernisparcours für ihre Hündin aufgebaut, Hürden und so, das weiß ich noch gut. Und die Matschkuhle, was haben wir uns eingeferkelt! Aber immer alles abgeduscht, bevor wir nach Hause mussten. Unsere Eltern wären ihr sonst bestimmt aufs Dach gestiegen. An dem Tag? Ja, da haben wir auf dem Weg die anderen getroffen, Kevin, Dennis, Alex, Simon und Andreas. Bei Sabine haben wir dann im Garten gespielt, hinten auf der Obstwiese. Das war für mich so eine Art Paradies. Aber an dem Tag haben wir uns dauernd in die Wolle gekriegt, weil alle gleichzeitig ins Planschbecken wollten. Sabine schlug vor, wir sollten lieber zum Baggerloch gehen, da hätten wir mehr Platz. Und das haben wir dann auch gemacht. Da haben wir geplanscht und gesungen und Melonen gegessen. Und ich weiß noch, Sabine hat Dennis einen Perlenzopf in sein Haar gemacht. Das war komisch, weil der das sonst eigentlich nicht leiden konnte. Irgendwann musste Sabine dann nach Hause und hat uns mitgenommen, weil sie nicht wollte, dass uns was passiert. Dennis und Kevin hatten Schiss, heimzugehen. Die hatten nämlich Hausarrest gehabt und waren einfach ausgebüxt. Wenn ihr Alter sie erwischt hätte, hätte es ordentlich Senge gegeben. Der hat denen nichts durchgehen lassen. Um Punkt halb sieben gab es bei denen immer Abendessen.
Bei meinem Bruder und mir war das egal, da gab’s keine festen Essenszeiten. In den Sommerferien durften wir bis neun draußen bleiben. Na ja, an dem Abend haben wir vier uns dann unsere Räder geschnappt und sind noch mal zu Sabine. Sie hat ihren Kleinen zu uns rausgeschickt, wir sollten ein bisschen auf ihn aufpassen. Wir sind dann wieder zum See runter und haben im Wasser rumgetobt wie die Verrückten. Aber mir war dann auf einmal kalt, und ich bekam auch Hunger, deshalb bin ich abgehauen, nach Hause.«
»Die anderen sind noch geblieben?«
»Ja.«
»Und wo war Sabine Maas?«
»Die war bei sich zu Hause und hat Brot gebacken. Roch lecker, als ich an ihrem Küchenfenster vorbeiradelte.«
»Haben Sie andere Erwachsene in der Nähe des Sees gesehen?«
»Nein, das war damals anders. Die Leute aus dem Dorf gingen nicht einfach so schwimmen. Meine Eltern jedenfalls nicht, die hatten immer zu viel Arbeit.« Er hielt inne. »Es würde mich schon interessieren, warum Sie das alles wissen wollen, aber vermutlich werden Sie es mir nicht sagen, oder?«
Van Appeldorn schüttelte den Kopf. »Laufende Ermittlungen. Aber wie ist es dann weitergegangen an jenem Abend?«
»Ich weiß nicht, ob ich das noch zusammen kriege.«
Zum ersten Mal wirkte Heiko Goossens ein wenig unsicher. »Es war einfach ein furchtbares Durcheinander. Meine Mutter hat mich unter die Dusche gestellt, dann kam mein Bruder nach Hause und hat auch geduscht. Irgendwann kamen Pitz und noch einer, die sind dann mit meinem Vater weg. Meine Mutter hatte das Essen fertig, Grießbrei mit Himbeersirup. Dann kam mein Vater wieder und sagte, Kevin war tot, und Sabine hätte das getan. Es war furchtbar.«
Ackermann war tausend Tode gestorben. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass van Gemmern so ein grottenschlechter Autofahrer war. Entweder zuckelte er im Schneckentempo vor sich hin, oder er fuhr mit Überschallgeschwindigkeit, er überholte in den unmöglichsten Situationen, meist ohne vorher in den Rückspiegel zu schauen, und es hatte zwanzig Minuten gedauert, bis sie in der Nähe von Finkensiepers Wohnung eine Parklücke gefunden hatten, die ihm groß genug erschienen war.
»Groß genug für ‘n Trecker mit Anhänger«, dachte Ackermann und schloss die Wohnungstür auf.
»Wir suchen also die Papiere.«
»Nichts Genaues weiß man nicht …«, feixte van Gemmern. Er war heute ausnehmend gut gelaunt, was man
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