Kesseltreiben
nach ihre Schuld nicht eindeutig bewiesen werden. Man hat nie in Erwägung gezogen, dass Sabine die Wahrheit sagen könnte. Es ist nicht einmal ansatzweise untersucht worden, ob ein anderer als Täter in Frage kam. Wieso hat die Frau sich nur keinen fähigeren Anwalt genommen?«
»Dieser Boskamp hat für sie auch später mit der KGG verhandelt«, erklärte Cox. »Vermutlich war er ein Freund der Familie.«
Schnittges kaute nachdenklich auf seinem Daumennagel. »Okay, spielen wir es doch einfach einmal durch, dass Sabine nicht die Mörderin war. Dann sollten wir als Erstes die Kinder von damals fragen, was an diesem unseligen Freitag im August 83 tatsächlich passiert ist.«
»Dennis Pitz war vorgestern in Kessel«, erinnerte sich Penny, »und er wollte auch bis zur Beerdigung seines Vaters bleiben. Aber glaubt ihr wirklich, eine Vernehmung bringt etwas? Unüberlegt doch mal, wie klein die Kinder noch waren.«
»Ich glaub’ wohl, dat die sich erinnern würden, wenn man se ‘n bissken kitzelt. Der Dennis war neun, Jörg Goossens sogar schon zehn un’ der andere Goossens acht. Ich kann mich an Sachen aus der Zeit erinnern, an wat Schönes, an wat richtig Peinliches un’ ganz bestimmt an Sachen, die wehgetan haben. Ich mein’, da is’ ‘n Mord passiert, ‘n Freund von denen is’ umgebracht worden.«
»Sabine sagt aus, dass Sebastian verstört und sprachlos war, als er vom See zurückkam«, überlegte Schnittges. »Er könnte die Tat beobachtet haben. Vermutlich konnte er sich das Ganze nicht erklären, weil er erst drei war, aber dass etwas Schreckliches passierte, das hat er gemerkt. Als ich vier war, ist meine Schwester von einem Auto angefahren worden, und das Bild habe ich heute noch vor Augen.«
»Du meinst, als Finkensieper nach Kessel kam, hat er sich erinnert?« Penny klang nicht überzeugt.
»Spätestens, als er die Prozessakten gelesen hat, könnte das Bild wieder aufgetaucht sein.«
»Möglich«, räumte van Appeldorn ein. »Mir ist aufgefallen, dass Kevin keine Abwehrverletzungen hatte. Das heißt doch, er muss seinen Mörder gut gekannt haben.«
»Sabine Maas hat er gut gekannt«, sagte Cox. »Aber ich frage mich schon die ganze Zeit: Warum bringt die Frau das Kind um? Wo ist ihr Motiv?«
»Sie war eben verrückt«, antwortete van Appeldorn harsch. »Das hat uns doch jeder Zweite erklärt, verrückt und pädophil.«
Schnittges schnaubte. »Diese Aussage von Herta van Beek macht doch überhaupt keinen Sinn. Laut Lettie hat sie ihre drei kleinen Jungen häufig bei Sabine Maas übernachten lassen. Welche Mutter würde ihre Kinder freiwillig in die Obhut einer pädophilen Frau geben? Das ist doch bekloppt.«
»Ein pädophiler Mörder ist doch sowieso Quatsch«, bemerkte Cox. »In der Regel bringen Päderasten keine Kinder um. Bernie hat recht, die Sache mit der Pädophilie ist an den Haaren herbeigezogen.«
»Das scheint mir auch so«, stimmte Penny zu. »Die Frage ist nur, warum wurde das ins Spiel gebracht?«
Alle schwiegen.
Dann murmelte Schnittges etwas und schlug sich gegen die Stirn. »Es springt einen quasi an. Schaut doch mal hin.« Er zeigte auf die Tafel. »Wer waren die Zeugen, die im Prozess gegen Sabine Maas ausgesagt haben? Goossens, Küppers und van Beek. Wer waren die Männer, die Kevins Leiche gefunden haben? Goossens, Küppers, van Beek und Pitz. Und wer hat exakt zur Tatzeit auf dem Rapsfeld auf Tauben geschossen? So viel Zufall gibt es nicht. Ich jedenfalls glaube nicht daran.«
»Du meinst, es war ein ›offenes Versteck‹?«, fragte Cox gespannt. »Einer von denen hat scharf geschossen? Aber dann müssen die anderen drei ihn decken.«
»Ist doch möglich, ist durchaus möglich. Und noch etwas: Wer konnte eigentlich wissen, dass Finkensieper zu ›Ophey‹ zum Essen wollte? Van Beek, würde ich meinen. Und damit wussten es auch seine drei Busenfreunde, die jeden Abend bei ihm an der Theke stehen.«
»Aber deren Waffen sind alle untersucht worden«, gab van Appeldorn zu bedenken.
»Ja, die registrierten«, sagte Ackermann düster.
Wieder blieb es kurz still.
Schließlich ergriff Toppe das Wort. »Sabine ist 1979 vergewaltigt worden.« Er biss sich auf die Lippen. »Und wenn ich die Notiz des Anwalts richtig deute, hat sie die Vergewaltigung nicht angezeigt.«
»Vermutlich aus Scham«, nickte Penny. »Wie das ja leider so oft ist.«
»Und vermutlich ist der Vergewaltiger Sebastians Vater«, fuhr Toppe fort. »Sie hat sich über ihn ausgeschwiegen, weil sie sich
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