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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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Werner Heisenberg. Da der ehemalige Direktor Peter Debye vor drei Jahren bereits in die USA emigriert, offiziell aber noch immer beurlaubt ist, darf Heisenberg aus streng bürokratischer Perspektive nicht zum Direktor des Instituts ernannt werden. Aber mit einem sprachlichen Kunstgriff findet man einen Ausweg aus dem Amtsstubendilemma: Werner Heisenbergs neue Berufsbezeichnung lautet offiziell: Direktor am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin [Cas:552].
    Auch Abraham Esau erhofft sich jetzt Vorteile von den Veränderungen. Der zu Beginn des Krieges vom Heereswaffenamt ausgebootete Physikbeauftragte des Reichsforschungsrats unter Hermann Göring sieht im Herbst 1942 wieder eine Chance, die Richtlinien der Kernspaltungsforschung selbst mitzubestimmen. Inzwischen ist er Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt. Hier findet auch Kurt Diebner Unterschlupf und setzt zunächst noch seine Koordinierungsarbeit fort. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft kann wegen der guten Beziehungen zwischen Speer und Heisenberg finanziell weitgehend unabhängig von Esau und dem Reichsforschungsrat arbeiten. Sowohl Speer als auch Göring fördern die Arbeit der Kernphysiker, wohl wissend, dass bei der düsteren Kriegslage alle Mittel an die Front geworfen werden und eine großindustrielle Umsetzung der Modellreaktoren von Leipzig und Berlin undenkbar ist. Sie halten die Entwicklung einer Atomwaffe daher für unrealistisch, setzen aber ihre Hoffnung auf eine nukleare «Wärmekraftmaschine» als wertvolle Energiequelle für die Zeit nach dem Krieg.
     
    Bei Goodyear in Akron, Ohio, staunen die Mitarbeiter nicht schlecht, als im Sommer 1942 ein schlaksiger, zart wirkender junger Mann die Werkshalle betritt und einen ungewöhnlichen Wunsch äußert. In der größten Autoreifenfabrik der Welt hat man schon Zeppeline, Gummiboote, Feuerwehrschläuche und sogar Pokerchips hergestellt, aber eine würfelförmige, gummigefütterte Ballonhülle hat bisher noch niemand haben wollen. Einer ist skeptisch, glaubt nicht, dass der Ballon fliegen wird. Das müsse er auch nicht, antwortet der seltsame Kunde, unterschreibt mit Herbert Anderson und gibt als Lieferadresse das Met Lab an der Universität Chicago an.
     
    Trotz seiner Entlassung erkennt Kurt Diebner in den neuen Verwaltungsstrukturen eine Chance, jetzt erstmals auch selbst aktiv Experimente zu betreiben. Als Leiter der südlich von Berlin gelegenen Versuchsstation Gottow entwirft er mit einem jungen begeisterungsfähigen Team eine neue Reaktorgeometrie. Aus dem spektakulären Unfall in Leipzig hat Heisenberg die Konsequenz gezogen, nunmehr mit Platten aus Uranmetall zu arbeiten, die die Auer-Gesellschaft für ihn gießen soll. Während er auf diese neue Form des Brennstoffs warten muss, stehen Diebner sofort große Mengen des inzwischen verschmähten Uranoxidpulvers zur Verfügung. Diebners Plan klingt, als sei es ihm gelungen, im letzten Sommer einen Spion in Fermis New Yorker Team einzuschleusen. Denn auch in Gottow kommen jetzt Uranwürfel zum Einsatz. Dazu lässt Diebner Holzklötze von knapp 10 Zentimetern Kantenlänge in geringem Abstand zueinander auf eine Paraffinplatte stellen, sodass eine bienenwabenähnliche Struktur entsteht. Dann wird heißes Paraffin in die Lücken zwischen den Klötzen gegossen. Die werden wieder herausgezogen, sobald das Wachs erstarrt ist. Anschließend wird Uranoxid mühsam löffelweise in die Würfelöffnungen eingefüllt und festgestopft. Dabei kommen 25 Tonnen Uran und viereinhalb Tonnen Paraffin zum Einsatz.
    Ein Aluminiumkessel von zweieinhalb Metern Höhe und Breite bietet Platz für 19 solche Schichten mit insgesamt 6800 in Paraffin eingebetteten Uranwürfeln. Ein einziger Würfel dieses Volumens sollte sich ja nach ersten Berechnungen Oppenheimers von 1939 «selbst in die Hölle sprengen» können. In Diebners Arrangement zeigen die kleinen Höllenmaschinen allerdings keine Neigung, aus ihrer Paraffinumgebung auszubrechen. Den Mitarbeitern ist bewusst, dass ein solch langwieriger Umgang mit dem giftigen Uranoxid äußerst gesundheitsgefährdend ist. Sie arbeiten in diesem Sommer 1942 trotz sengender Hitze «in staubdichten [Schutzanzügen], Gummistiefeln, mit Gummihandschuhen und Gesichtmasken» [Wal 1 :121]. Auf solchen Schutz dürfen die zweitausend Frauen aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen nicht hoffen, die in der Oranienburger Fabrik der Auer-Gesellschaft das Uranoxid mit bloßen Händen aus dem in Belgien erbeuteten Rohstoff

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