Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe
Hahn bedauert, seine gleichlautende, in jahrelanger Kleinarbeit gewonnene Vermutung nicht selbst veröffentlicht zu haben. «Soddy hat sicher nicht so viele negative Trennversuche gemacht wie ich …», hadert Hahn mit sich selbst, erkennt dann jedoch neidlos an: «… aber er hatte mehr Mut» [Hof 1 :64]. Rutherfords Atommodell und Soddys Theorie der Atomsorten laufen 1912 zwar noch nicht ganz rund, aber beide Forscher sind – wieder einmal – auf dem richtigen Weg zu einem besseren Verständnis des Atoms.
Zur feierlichen Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie am 23. Oktober 1912 hat sich der Kaiser höchstpersönlich angekündigt. Ihm soll etwas Besonderes geboten werden, und so fällt Hahn die zweifelhafte Ehre zu, den Exoten zu spielen und Seiner Majestät den Leuchteffekt des Mesothors vorzuführen. Am Tag zuvor kommt mit klirrendem Schleppsäbel ein kaiserlicher Flügeladjutant, um Gelände und Gebäude zu inspizieren. Der Offizier muss über den Ablauf des Festprogramms genau Bescheid wissen. Hahn will 300 Milligramm Mesothor, eine wahrhaft majestätische Menge, in einer hübschen Schachtel auf einem Samtpolster präsentieren. Auf eine Bleiabschirmung wird aus ästhetischen Gründen großzügig verzichtet. Um den Selbstleuchteffekt des Präparats angemessen zu inszenieren, muss das Zimmer natürlich gut verdunkelt sein. Was der Flügeladjutant allerdings kategorisch ablehnt: «Ausgeschlossen, wir können Majestät nicht in ein völlig dunkles Zimmer schicken» [Hah 1 :63].
Der zur Vermittlung herbeigerufene Institutschef Emil Fischer handelt einen Kompromiss aus. Ein kleines rotes Lämpchen soll dem Kaiser den Weg durch die Dunkelkammer weisen. Doch am Tag der Einweihung stellt sich heraus, dass Wilhelm II. sich ohne Scheu ins Dunkel wagt. Er verzichtet aufs Rotlicht. Hahn zeigt ihm den Leuchteffekt und lässt das aus einem Radiothorpräparat strömende radioaktive Gas in schönen grünen Wellen über den Zinksulfidschirm wabern.
Während in Paris Marie und Pierre Curie in den Monaten vor und nach der Jahrhundertwende das Radium im böhmischen Pechgestein erforschen, beschäftigt sich zur gleichen Zeit der deutsche Physiker Max Planck in Berlin mit der Strahlung eines sogenannten Schwarzkörpers. Als eine experimentelle Annäherung an diese Vorstellung ließe sich etwa der Hohlraum des angeheizten Windofens in Martin Heinrich Klaproths Labor denken. Nach den Gesetzen der klassischen Physik dürfte das von einem Ofen abgestrahlte Lichtspektrum von Hellgelb über Rot und Bläulichweiß bis zur sprichwörtlichen Weißglut eigentlich gar nicht zu sehen sein. Vielmehr müsste bei stetig zunehmender Hitze die Strahlung kurzer Wellenlängen in den glühenden Wänden des Ofens überwiegen, sodass bald nur noch Licht im ultravioletten Bereich abgegeben würde. Obendrein in unendlicher Menge. Wer auf einen gemütlichen Platz vor einem solchen Kurzwellenofen hockte, würde zwar die Wärme fühlen, das Licht des Feuers selbst aber nicht sehen können, weil das dominierende ultraviolette Licht unsichtbar ist. Glücklicherweise gibt es einen solchen Ofen nicht, denn in der physikalischen Wirklichkeit gibt es keine unendlichen Energiewerte. Aber die auf der Newton’schen Mechanik gegründete Wärmestrahlungstheorie fordert ihn in letzter Konsequenz. Aus diesen Grund kann die klassische Theorie nicht stimmen.
Max Planck, Professor für theoretische Physik an der Universität Berlin, hat drei Jahre lang an der Lösung dieses Problems gearbeitet, als er schließlich am 14. Dezember 1900 eine wahrhaft revolutionäre Hypothese vorlegt, um das tatsächliche elektromagnetische Strahlungsspektrum widerspruchsfrei zu beschreiben: Die Wärmestrahlung heißer Körper kann demnach kein kontinuierlicher Prozess sein, bei dem die Energieniveaus stufenlos beliebig klein werden. Stattdessen gehe der Energieaustausch – um beim Bild zu bleiben – zwischen den heißen Ofenwänden und dem abgestrahlten Licht in Portionen vor sich, die eindeutig stufenweise voneinander getrennt sind. Hier gibt es keine fließenden Übergänge mehr, sondern Sprünge. Die kleinste Energieportion, die aufgenommen und abgegeben werden kann, nennt Planck ein «Quant». Die Energie eines Quants ist das Produkt aus der Frequenz des Lichts und einer Naturkonstanten, die Planck zunächst selbst elementares Wirkungsquantum nennt, die ihm zu Ehren aber schon bald Planck’sche Konstante heißt. Ihre Dimension ist ein verschwindend
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