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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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tausenden von Lichtern» [www 8 ]. Am Abend des 1. August geht Heisenberg an Bord des Dampfers «Europa», um seine Heimreise anzutreten. Das Schiff ist nahezu menschenleer.
     
    Was ursprünglich vielleicht nur als nostalgische Plauderrunde geplant gewesen sein mag, entwickelt schnell eine brisante Eigendynamik. Als nämlich Anfang Juli Eugene Wigner von Princeton nach New York kommt und sich mit Leo Szilard treffen will, lädt der auch Edward Teller zum Gedankenaustausch ein. Außer ihrer Heimatstadt Budapest verbindet das Trio die Furcht davor, wie die kriegsbereiten Deutschen das Potenzial der Kernspaltung militärisch nutzen könnten. Alle drei haben in Deutschland studiert und gearbeitet. Wigner hat 1933 wegen seiner jüdischen Abstammung seine Professur in Berlin aufgeben müssen und ist mit offenen Armen in Princeton empfangen worden. Er ist jetzt 37 Jahre alt. Edward Teller ist 31, zehn Jahre jünger als Szilard. Er hat 1930 bei Werner Heisenberg in Leipzig promoviert und ist ebenfalls mit dem Erlass des Arierparagraphen aus der gemeinsamen Arbeit mit Max Born in Göttingen gerissen worden. Über Kopenhagen und London kam er schließlich an die George Washington Universität in der amerikanischen Hauptstadt. Da sitzen also die drei Emigranten und Schicksalsgenossen an einem Tisch und machen sich bereits Gedanken über den möglichen Verlauf der Westfront eines noch nicht ausgebrochenen Krieges. Sollte Belgien wieder von deutschen Truppen überrannt werden, wie es im Weltkrieg geschehen ist, fiele den Besatzern, so befürchten die drei Ungarn, eine große Menge Uran in die Hände. Denn in den Bergwerken der belgischen Kolonie Kongo werden augenblicklich die weltweit ergiebigsten Uranvorkommen ausgebeutet.
    Szilard, Wigner und Teller kommen zu dem Schluss, dass die amerikanische Regierung in die Bemühungen um die Kettenreaktionsversuche mit Uran eingebunden werden müsse. Angesichts der Kriegsgefahr in Europa und der öffentlichen Begeisterung über die Möglichkeiten der Kernspaltung in Deutschland dürfe es keinen Aufschub mehr geben, zumal die Urangruben in St. Joachimsthal bereits in deutscher Hand seien. Ein erster diplomatischer Vorstoß könnte eine Warnung an die Adresse der belgischen Regierung sein. Szilard erinnert sich an einen alten Freund aus Berliner Tagen, mit dem er ein gemeinsames Patent auf eine unerträglich laut kreischende Kühlschrankpumpe hält. Der Miterfinder heißt Albert Einstein und pflegt eine Brieffreundschaft mit der belgischen Königin. Vielleicht ließe sich ja über diese Verbindung ein erster Schritt in die große Politik tun. Ein Anruf in Princeton lässt aus der Vermutung eine Gewissheit werden: Einstein segelt. Er verbringt den Sommer in der Hütte eines Freundes an der Nordostspitze von Long Island. Szilard besitzt weder Führerschein noch Auto. Und so bietet sich Eugene Wigner als Chauffeur für die knapp 150 Kilometer lange Fahrt zu Einsteins Sommerfrische an. Am frühen Morgen des 12. Juli fährt er mit seinem 1936er Dodge Coupé am King’s Crown Hotel vor und holt Leo Szilard ab. Die beiden Ungarn haben Mühe mit den indianischen Ortsnamen auf Long Island und verwechseln Patchogue an der Südküste mit dem Zielort Cutchogue im Nordosten und verfahren sich erst einmal gründlich [Lan:198].
    Die «Hütte» erweist sich dann doch als zweistöckige weiße Villa am Strand mit Anlegesteg. Einstein kommt gerade vom Segeln und gibt sich gewohnt leger. Herzlich und entspannt begrüßt der Sechzigjährige die ehemaligen Berliner Kollegen und ist entzückt, mit ihnen Deutsch sprechen zu können. Eugene Wigner kennt ja die Verhältnisse in Princeton aus eigener Anschauung und weiß, dass Einstein wie kein zweiter Gelehrter das Leben im Elfenbeinturm verkörpert. Seit Jahren schon richtet er seine Konzentration auf die Ausarbeitung einer umfassenden Theorie, die den Elektromagnetismus mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie vereinen soll. Alle Ereignisse am Himmel und auf Erden, von den elektrischen Signalen in der Nervenzelle eines Fadenwurms bis zur Umlaufbahn des Planeten Uranus, will er in einer einzigen Weltformel beschreiben. Es ist in den letzten Jahren zwar oft kolportiert worden, Einstein verfolge aus diesem Grund die aktuelle Kernforschung nicht mehr. Was Wigner und Szilard allerdings stets für eine übertriebene Darstellung gehalten haben. Umso erstaunter sind die beiden Besucher, dass der weltberühmte Gelehrte tatsächlich keinen blassen Schimmer von der

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