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Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe

Titel: Kettenreaktion - Die Geschichte der Atombombe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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238 Kernbausteinen bringt also über ihre kurzlebige «Tochter» Neptunium in dritter Generation doch noch ein explosives neues Element hervor, das sich als nuklearer Sprengstoff eignet. Bei der erfolgreichen Auslösung einer Kettenreaktion würde also nach spätestens zweieinhalb Tagen im ganz normalen Reaktorbetrieb auf natürliche Weise spaltbares Plutonium entstehen. Aus diesem Experiment folgt eine erstaunliche Konsequenz: Selbst eine ausschließlich zur Elektrizitätserzeugung betriebene Uranmaschine brütet zwangsläufig den Bombenstoff Plutonium aus.
    In Deutschland sind es vor allem Carl Friedrich von Weizsäcker und sein Kollege Fritz Houtermans, die sich mit den Untersuchungen der Transurane beschäftigen. McMillans Artikel erscheint in der Zeitschrift Physical Review . Die englischen Atomforscher sind entsetzt, dass dessen Arbeit nun auch in Deutschland gelesen werden kann. Sie schlagen bei ihren amerikanischen Kollegen Alarm, und schon bald wird von höherer Instanz ein Publikationsverbot für künftige Uranforschungen verhängt. McMillans Artikel sollte der letzte seiner Art im Krieg gewesen sein.
    Im Juli 1940 kann sich Weizsäcker noch auf diese Studie stützen und sagt voraus, Plutonium lasse sich leichter spalten als Uran-235. Auch die chemische Trennung des neuen Elements von Uran sollte keine großen Schwierigkeiten verursachen. Plutonium unterscheide sich nämlich chemisch vom Uran, während U-235 und U-238 vermutlich nur mit der unwiderstehlichen Kraft eines Zyklotrons voneinander getrennt werden könnten. Da in ganz Deutschland bisher noch kein einziger Teilchenbeschleuniger gebaut worden ist, scheint die Plutonium-Alternative der gangbarere Weg zur Atombombe zu sein. Weizsäcker fasst seine Erkenntnisse in einem Bericht an Kurt Diebner zusammen. Unabhängig von den Amerikanern und zur selben Zeit gelingt auch dem Physikochemiker Kurt Starke an Otto Hahns Institut der Nachweis des Elements 93. Was Hahn zum Anlass nimmt, in einem Bericht an das Heereswaffenamt noch einmal auf «die mögliche Verwendung von Transuranen als Kernsprengstoff» [Wal 1 :61] hinzuweisen.
     
    Im Sommer 1939 ist Otto Robert Frisch von Kopenhagen nach Birmingham gereist. Mark Oliphant, Leiter des Physikalischen Instituts an der Universität Birmingham und mit der Entwicklung des hochgeheimen Radars beschäftigt, hat ihn eingeladen. Nach Ausbruch des Krieges kehrt Frisch nicht nach Dänemark zurück, weil er einen baldigen Einmarsch der deutschen Wehrmacht befürchtet. Oliphant lässt ihn vorerst als Tutor an seinem Institut arbeiten. Die ungelösten Probleme der Kernspaltung treiben Frisch an. Er hat eine Idee, wie sich Uran-235 auch ohne die Benutzung eines Zyklotrons von der 238er Sorte trennen ließe. Klaus Clusius, zu diesem Zeitpunkt Professor für physikalische Chemie in München und Mitglied des Uranvereins, hat erst 1938 ein simples Trennverfahren entwickelt. Ein langes, senkrecht stehendes Rohr wird mit der gasförmigen Verbindung des Elements gefüllt, dessen Atomsorten man trennen will. Das Rohr wird unterschiedlich stark aufgeheizt, wobei sich die leichteren Atome am wärmeren Ende des Rohrs ansammeln und die schwereren am kälteren Ende.
    Zu diesem Zeitpunkt teilt Frisch die Ansicht Niels Bohrs, der eine Atombombe zwar theoretisch für möglich, die technischen Schwierigkeiten allerdings für unüberwindlich hält. Doch aus reiner Neugier macht Frisch sich jetzt daran, die benötigte Uranmenge für eine Bombe abzuschätzen. Wie lang ist der durchschnittliche Weg eines Neutrons in einer Kugel aus Uran-235, bis es auf einen Urankern trifft? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es ihn spaltet? Wie groß muss die Kugel mindestens sein, damit die Neutronen nicht über ihre Oberfläche hinausschießen und wirkungslos verpuffen [Ber 2 :97]? Frisch setzt plausible Schätzwerte in die bekannten Formeln ein und – ist verblüfft. Um eine explosive Kettenreaktion in Gang zu bringen, muss Uran-235 nicht etwa tonnenweise angehäuft werden, wie die meisten Theoretiker bisher vermuteten. Ein bis zwei Pfund des kostbaren Stoffs müssten als kritische Masse genügen.
    Otto Frisch berechnet nun den optimalen Wirkungsgrad des Trennsystems für Uran-235. Mittlerweile hat er sich mit dem deutsch-jüdischen Physiker Rudolf Peierls angefreundet, der vor den Nazis geflohen ist und am selben Institut in Birmingham arbeitet. Gemeinsam überprüfen sie die Berechnungen und kommen zu dem Schluss, «dass sich mit etwa 100  

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