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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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verschwunden.
    »Sophia«, flüsterte ich ungläubig.

11
    Am Montagmorgen weckte mich der gegen meine Fensterscheiben trommelnde Regen, noch ehe die Glocke zur Frühmesse geläutet hatte. In der Nacht waren wieder dicke Wolken aufgezogen, der Himmel war schiefergrau, der Hof mit Pfützen übersät. Wieder einmal hatte ich, von Furcht und Sorgen gequält, schlecht geschlafen. Sidney und ich hatten bis spät in die Nacht zusammengesessen und Theorien aufgestellt, für alle hatten wir allerdings zu wenig konkrete Beweise in der Hand, um die verschiedenen Fäden entwirren zu können. Ich müsste einen Weg finden, möglichst bald mit Sophia Underhill zu sprechen. Entweder war sie es, die Rogers Almanach und meine Notizen an sich genommen hatte, oder jemand anderer, der sie aus meiner Kammer hatte kommen sehen, hatte die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, weil er dann davon ausgehen konnte, die Tür unverschlossen vorzufinden.
    Als ich die Beine über die Bettkante schwang, entdeckte ich etwas Weißes auf dem Boden unter dem Bett, bückte mich und hob ein Stück Papier auf. Ich drehte es um und erkannte meine eigene Handschrift; es war die Kopie, die ich von diesem seltsamen Code hinten in Rogers Kalender angefertigt hatte, und mein erster Versuch, die Geheimschrift zu entschlüsseln. Das Papier musste unter das Bett gerutscht und deshalb von demjenigen übersehen worden sein, der gestern Abend, als ich mit Florio außer Haus gewesen war, alle anderen Notizen von meinem Schreibtisch genommen hatte – und ich mochte immer
noch nicht recht glauben, dass Sophia die Täterin sein sollte. Zumindest war mir die Abschrift des Codes geblieben, obwohl ich bislang noch keinen Brief entdeckt hatte, den Roger Mercer verschlüsselt verfasst oder erhalten hatte. Ich war jetzt sicher, dass diejenige Person, die Rogers Kammer vor mir durchsucht hatte, und nach mir vielleicht auch Slythurst, nach genau solchen Briefen oder Dokumenten gesucht hatte. Was ich nicht wusste, war, ob einer von beiden sie gefunden hatte.
    Sidney oblag nach wie vor die schwere Bürde der Unterhaltung des Palatins, aber er hatte versprochen, Gabriel Norris’ Verbindung zu Familie Napper zu überprüfen und so viel wie möglich über William Napper und die anderen Teilnehmer des Jagdausflugs herauszufinden, in dessen Rahmen angeblich der Hund abhandengekommen war. Meine Aufgabe lautete, unter dem Vorwand, seltene Bücher erwerben zu wollen, Jenkes’ Laden in der Catte Street aufzusuchen und zu sehen, was ich über seine illegalen Geschäfte in Erfahrung bringen könnte. Und obendrein musste ich mich in der Hoffnung, noch etwas aus Humphrey Pritchard herauszubekommen, für eine weitere Mahlzeit im Catherine Wheel wappnen. Ich muss gestehen, dass mich bei der Vorstellung, einen einfältigen Schankjungen manipulieren zu müssen, mein Gewissen plagte, doch ich hatte einen Auftrag auszuführen und versuchte daher, die leise mahnende Stimme in meinem Hinterkopf zu überhören. Im Gegensatz zu meinem Auftraggeber war ja ich kein geborener Politiker, und der Gedanke, einzelne Menschen dem Gemeinwohl zu opfern, behagte mir nicht. Wie dem auch sei – ehe ich mich damit befassen konnte, musste ich unbedingt Mittel und Wege finden, um mit Sophia zu sprechen.
    Ich hatte beschlossen, nicht mehr an der Morgenmesse teilzunehmen – eine einmalige Zurschaustellung meiner Frömmigkeit müsste für die Dauer meines Aufenthalts hier reichen –, und verbrachte stattdessen die frühen Morgenstunden lesend am Fenster, weil ich hoffte, eventuell Sophia zu sehen, wenn sie über den Hof ginge, um die Bibliothek aufzusuchen. Da ich mir
darüber im Klaren war, dass der Rektor mir nie erlauben würde, allein mit seiner Tochter zu reden, selbst wenn ich ihn darum bäte, blieb mir also nichts anderes übrig, als abzuwarten, ob sie sich auch heute dorthin begeben würde, wenn alle Studenten bei ihren Vorlesungen wären – immer vorausgesetzt, dass ihr Vater ihr dieses Privileg nicht gestrichen hätte. Mein Magen forderte knurrend sein Frühstück, aber ich wagte nicht, mich auf die Suche nach etwas Essbarem zu machen, weil ich fürchtete, Sophia sonst zu verpassen.
    Kurz vor neun Uhr sah ich sie aus der Wohnung des Rektors kommen. Mein Herz machte unwillkürlich einen kleinen Satz, und ich griff rasch nach meinem Umhang, um sie einzuholen, sie ging jedoch nicht über den Hof auf die Bibliothek zu. Formeller gekleidet als gewöhnlich trug sie ein elfenbeinfarbenes Gewand mit bestickten

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