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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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Leichnam nicht ansehen zu müssen.
    »Bittet Ihr mich, Euch bei der Suche nach dem Mörder zu helfen?«, fragte ich geradeheraus.
    Er wandte sich zu mir. Schwache Hoffnung glomm in seinen kleinen, wässrigen Augen auf.
    »Unter normalen Umständen würde ich nicht im Traum daran denken, einen Gast in eine so furchtbare Angelegenheit hineinzuziehen, aber alles deutet daraufhin, dass der Mörder es genau darauf anlegt. Diese Papiere, die Ihr mir gezeigt habt – ich dachte, jemand wolle sich einen Scherz mit Euch erlauben, aber nachdem das hier passiert ist …« Wieder deutete er mit der Hand auf den Leichnam in der Ecke, ohne sich umzudrehen. »Vielleicht könnt Ihr den Täter entlarven, bevor noch mehr Blut vergossen wird.«
    »Also rechnet Ihr mit weiteren Opfern?«, fragte ich eine Spur zu scharf.
    Underhill blinzelte, dann schüttelte er den Kopf. »Ich meinte nur, es scheint ja kein Zweifel daran zu bestehen, dass wir es mit einem Gegner zu tun haben, der entweder besessen oder irrsinnig ist …«

    Just in diesem Moment ertönte hinter uns ein kratzendes Geräusch, gefolgt von einem dumpfen Ton. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich eine plötzliche Bewegung, wirbelte herum und sah, wie Coverdale zuckte und seine Position veränderte. Der Rektor kreischte und griff erneut nach meinem Arm. Ich hörte mich selbst erstickt nach Atem ringen, und einen Moment ergriff eisige Furcht von mir Besitz, als ich mich fragte, ob Coverdale vielleicht noch gar nicht tot war und die ganze Zeit dort gehangen und entsetzliche Qualen ausgestanden hatte. Doch als ich mich zusammennahm und zögernd einen Schritt vortrat, bemerkte ich, dass sich der Knoten des Seils, mit dem er an den Kerzenhalter gebunden war, zu lösen begann.
    »Es ist alles in Ordnung, Rektor Underhill«, beschwichtigte ich den Rektor, dessen Hand, die meinen Arm umklammert hielt, heftig zitterte. Anscheinend setzte jetzt bei ihm ein verspäteter Schock ein; er konnte auch einen Schluck von Cobbetts Ale brauchen. »Es war nur das Seil. Aber wir müssen den Leichnam abnehmen.«
    »Warum ist er nur in seiner Unterwäsche hierhergekommen?« , fragte der Rektor. Er schüttelte noch immer den Kopf, als ich ihm half, auf der größten Truhe Platz zu nehmen.
    »Nun, er stand ganz offensichtlich unter Druck, als er hier heraufkam, vielleicht hat ihn der Mörder beim Umkleiden überrascht«, überlegte ich laut, dann fiel mein Blick auf etwas unter dem Fenster. Neben dem Bogen lag ein säuberlich gefalteter Stoffhaufen auf dem Boden. Ich ging darauf zu und hob ihn auf. Es war eine lange Gelehrtenrobe, die Schnitt und Besatz nach zu urteilen einem Doktor der Theologie gehörte, und sie war steif von getrocknetem Blut, vor allem am Brustteil und an den Ärmeln.
    »Das ist James’ Robe.« Underhill wandte sich schaudernd ab.
    »Ich schätze, unser Mörder hat sie über seine eigenen Kleider gezogen, während er die Tat beging«, sinnierte ich. »Ich habe mich schon gefragt, wie jemand in Kleidern, die über und über
mit Blut bespritzt gewesen sein müssen, unbemerkt durch die Gebäude der Universität gehen konnte.«
    Auf der Treppe erklangen Schritte, und einen Moment später erschien Slythurst mit einer Laterne in der Hand. Er funkelte mich finster an, während er sie dem Rektor reichte, der immer noch am ganzen Körper zitterte und die Hände rang. Ich griff nach der Laterne, bevor er sie fallen lassen konnte, woraufhin ein flüchtiges Lächeln um seine trockenen Lippen spielte. Der Quästor schien Underhills Teilnahmslosigkeit als Aufforderung zu werten, die Kontrolle über die Situation an sich zu reißen.
    »Zuerst müssen wir nach dem Coroner schicken, damit er die Leiche fortschafft und der Tresorraum gesäubert und wieder zu seinem eigentlichen Zweck benutzt werden kann. Dann muss sobald wie möglich die gerichtliche Untersuchung stattfinden, damit der arme James ein christliches Begräbnis bekommen kann. Seine Familie muss benachrichtigt werden – ich glaube, er hat irgendwo in den Fens einen Bruder, nicht wahr, Rektor?« Als er keine Antwort erhielt, fuhr er fort, als hätte er gar keine erwartet: »Und ich halte es für ratsam, dass wir, wenn wir seinen Tod bekannt geben, öffentlich verkünden, dass er von einem unbekannten Dieb angegriffen wurde, der versucht hat, in die Stahlkammer einzubrechen. Wir wollen schließlich nicht, dass die Studenten schon wieder die wildesten Vermutungen anstellen.«
    »Ein kluger Vorschlag, Walter.« Der Rektor drehte

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