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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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ihm?«
    »Er darf von alldem nichts erfahren. Versprecht Ihr mir, dass Ihr mit ihm nicht über das sprechen werdet, was innerhalb dieser Mauern vorgefallen ist? Er ist Leicesters Neffe, er würde sich verpflichtet fühlen, ihm alles weiterzuerzählen.«
    In diesem Moment hallten hinter uns Schritte von den Wänden wider, und Slythurst erschien. Underhill bedeutete mir mit einem warnenden Kopfschütteln, nichts mehr zu sagen, dann blickte er von mir zu dem Quästor, bevor er sich zur Tür wandte.
    »Walter?«
    »Ich dachte, Rektor«, begann Slythurst mit einem öligen Lächeln, »dass ich Doktor Bruno am besten bei der Untersuchung dieses Raumes zur Hand gehe. Vier Augen sehen mehr als zwei.«
    »Gut. Aber dann brauche ich Euch, Walter, kommt danach bitte so schnell wie möglich zu mir.«
    Er warf mir einen letzten, beschwörenden Blick zu, bevor er die Tür hinter sich schloss. Seine Schritte hallten durch das Treppenhaus, als er zum Hof hinunterstapfte.
    Slythurst sah sich müßig im Raum um.
    »Was hofft Ihr denn nun hier zu finden?«
    »Ich denke, Master Slythurst, Ihr habt eine genauere Vorstellung davon, was ein Mann in diesem Raum zu finden hoffen kann, als ich sie habe«, erwiderte ich glatt.

    Er drehte sich zu mir um. Seine Lippen krümmten sich verächtlich.
    »Und ich könnte Euch fragen, was Ihr an Euch genommen habt, als wir beide uns das letzte Mal inmitten der Habseligkeiten eines Toten wiederfanden, Bruno. Was für ein Andenken habt Ihr Euch denn eingesteckt?«
    »Gar keines«, versetzte ich ruhig, wandte mich ab und trat zum Fenster. Regen trommelte gegen die Scheibe, rann in kleinen Strömen an dem Glas hinunter und verwischte den Blick ins Freie.
    »Tatsächlich?« Er sprach jetzt mit zusammengebissenen Zähnen und stand unangenehm dicht hinter mir. »Ihr mögt Euch das Vertrauen des Rektors erschlichen haben, aber ich durchschaue Euch; ich weiß, wer und was Ihr wirklich seid.«
    »Als da wäre?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust, als wäre mir seine Meinung völlig egal.
    »Ihr gehört zu den Männern, die sich nur auf ihren Charme und ihren Verstand verlassen, um vorwärtszukommen, statt auf harte Arbeit zu setzen. Ihr versucht, Euch bei Männern von Rang und Namen einzuschmeicheln und ihre Gunst zu gewinnen. Ihr kommt hierher und protzt mit Eurem Ruhm und Euren Gönnern – Höflingen und Königen –, aber dies hier ist die Universität von Oxford, Sir, wir lassen uns von derlei Nichtigkeiten nicht beeindrucken. Und Ihr werdet hier kein Amt übernehmen, auch wenn Ihr Eure Nase noch so tief in Dinge steckt, die Euch nichts angehen.« Gegen Ende dieser Tirade waren Speichelflocken in seinen Mundwinkeln erschienen, und er hielt inne, um sich zu sammeln. In seinen Augen loderte ein Hass, dessen Heftigkeit mich überraschte.
    »Ihr glaubt, ich würde hier irgendein Amt anstreben?«, wiederholte ich ungläubig.
    »Ich wüsste nicht, warum Ihr Euch sonst beim Rektor unentbehrlich machen solltet, indem Ihr Euch mit diesen Todesfällen befasst«, fauchte er zurück.
    »Nein, das könnt Ihr nicht verstehen, weil Ihr Euch nicht vorstellen
könnt, Euch für irgendjemanden oder irgendetwas einzusetzen, wenn Ihr dabei keinen satten Profit herausschlagen könnt.« Ich trat auf ihn zu, bis sein Gesicht nur noch wenige Zoll von dem meinen entfernt war, und zwang ihn kraft meines Blickes, mir in die Augen zu sehen. »Ich will Euch einmal etwas sagen, Master Quästor. Ich war drei Jahre lang ein Flüchtling in meinem eigenen Land. Ich habe gesehen, wie Menschen so bedenkenlos ermordet wurden, wie Jungen mit Steinen nach Vögeln werfen. Sie wurden wegen der Schuhe, die sie trugen, oder der wenigen Münzen niedergemetzelt, die sie bei sich hatten, und ich sah, wie die Gesetzeshüter in die andere Richtung blickten, weil es zu viel Aufwand bedeutet hätte, die Täter vor Gericht zu bringen, weil in den Augen des Gesetzes die Toten genauso wertlos waren wie ihre Mörder, die wahrscheinlich am Tag darauf selbst getötet werden würden. Und ich denke, das Leben keines Menschen sollte so wenig wert sein, dass, wenn es durch Gewalt endet, das Verbrechen mit einem Achselzucken abgetan wird und der Mörder ungeschoren davonkommt. Deswegen mische ich mich ein, Master Slythurst, man nennt es das Streben nach Gerechtigkeit.« Ich hatte mindestens ebenso heftig gesprochen wie er, doch obwohl er ein Stück zurückwich, fixierte er mich mit einem spöttischen Blick, und ich war es, der zuerst den Kopf senkte, wohl

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