Ketzer
Skandal, den dieser zweite Todesfall auslösen würde, war er nicht gewachsen. »Ihr hattet recht und ich unrecht. Ich habe Eure Theorie bezüglich Foxe verworfen, sie erschien mir zu weit hergeholt, und ich glaubte, Schaden von der Universität abwenden zu können, indem ich mich von den anderen – allen voran von James – dazu habe bewegen lassen, Rogers Tod als Unfall hinzustellen. Jetzt bin ich eines Besseren belehrt worden; es sieht in der Tat so aus, als hätte ein Irrsinniger die Fellows ins Visier genommen. Diese grässlichen Parodien christlicher Märtyrertode – hätten James und ich auf Euch gehört, wäre er jetzt vielleicht noch am Leben.«
»Falls es Euch tröstet, Rektor«, ich tätschelte sanft seine Hand, »meiner Meinung nach war Doktor Coverdale, als Ihr Euch am Samstag über meine Theorien lustig gemacht habt, bereits tot. Aber ich sage es noch einmal: Irgendjemand hier am Lincoln College weiß, wer der Täter ist. Und er ist höchstwahrscheinlich in Euren Reihen zu finden.«
»Ihr seid fest davon überzeugt, dass es sich um ein und denselben Mörder handelt?« Er hielt noch immer meine Arme fest.
»So sieht es aus.«
»Dann kann es noch weitere Opfer geben, wenn er nicht gefasst wird?«
»Das kann ich nicht sagen, Rektor. Solange wir nicht wissen, warum die beiden Opfer zu Märtyrern gemacht wurden, können wir keine Rückschlüsse auf den Mörder ziehen und auch nicht erkennen, was er durch seine auffällige Vorgehensweise zu erreichen hofft.«
»Doktor Bruno …« Die Stimme des Rektors brach, er hielt
inne und versuchte, ruhig und gleichmäßig durchzuatmen. »Ich weiß, dass wir diese Sache jetzt nicht länger geheim halten können. Aber diese Morde werden das Ende meiner Zeit als Rektor bedeuten – und vielleicht sogar das Ende der Universität. Wir sind nicht so wohlhabend wie viele andere, und wenn die Fördergelder ausbleiben, werden die reichen Studenten abwandern. Und ich habe nicht nur Angst um mich, Doktor Bruno. Welche Zukunftsaussichten hat meine Tochter denn noch, wenn ich bei Leicester in Ungnade falle? Hm?«
Unbewusst begann er meinen Arm heftig zu schütteln.
»Eure Tochter hat genug Vorzüge, die für sie sprechen, sie ist auf die Gunst eines Earls nicht angewiesen.«
Underhill schüttelte den Kopf.
»In der guten Gesellschaft herrschen andere Gesetze, wie Ihr wohl wisst. Unter den hochrangigen Familien Oxfords gilt sie als nicht zu zügeln. Sie darf nur aufgrund meines guten Verhältnisses zum Earl auf eine vorteilhafte Partie hoffen; besteht dieses Verhältnis nicht mehr, wird kein respektabler Mann sie mehr zur Frau nehmen. Sie sollte nicht an einem Ort wie diesem leben, wenn ihre Mutter sie nicht richtig beaufsichtigen kann, aber ich bin ein törichter, übermäßig nachsichtiger Vater, der es nicht ertragen kann, sie fortzuschicken. Doch jeder Tag, den sie länger hier verbringt, schädigt ihren Ruf mehr.« Er holte tief Atem, und ich sah, dass der Schock alle seine Emotionen an die Oberfläche geschwemmt hatte. Fast rechnete ich damit, ihn gleich in Tränen ausbrechen zu sehen, aber er nahm sich zusammen und fuhr fort: »Der Earl of Leicester muss natürlich erfahren, was geschehen ist, aber es wäre vermutlich besser für uns, wenn wir ihm zugleich auch einen überführten Mörder präsentieren könnten, meint Ihr nicht auch?«
»Dann müsst Ihr darauf hoffen, dass der Richter und der Coroner rasche Arbeit leisten.« Ich tat so, als verstünde ich nicht, worauf er hinauswollte.
»Das ist es ja eben, das werden sie nicht tun. Sie sind nicht imstande, ein Verbrechen dieser Art aufzuklären. Ich fürchte,
sie werden mit äußerster Taktlosigkeit vorgehen und Facetten des Universitätslebens aufdecken, die allen außer Gelehrten wie uns äußerst seltsam vorkommen müssen. Ihr dagegen…« Er ließ die Anspielung im Raum hängen, während er mich voll zaghafter Hoffnung musterte.
»Ich , Sir?« Ich hob spöttisch die Brauen. »Ein Ausländer? Ein Katholik? Ein Mann, dem man nachsagt, Magie auszuüben, und der sich zu der Ansicht bekennt, dass sich die Erde um die Sonne dreht?«
Underhill senkte den Blick und gab meine Arme frei. »Ich entschuldige mich für meine unüberlegten Worte, Doktor Bruno. Furcht gebiert Vorurteile, und wir sind in diesen Tagen eine von Furcht beherrschte Nation. Und jetzt sucht uns das Grauen sogar im Heiligtum des Lernens heim …« Seine Stimme erstarb, und er blickte hilflos zum Fenster am anderen Ende des Raumes, um den
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