Ketzer
Namen. Hastige Schritte erklangen, die Tür schwang auf, und Thomas Allen stand vor mir. Er war offensichtlich gerade seinen Dienerpflichten nachgekommen, denn er hielt ein schmutziges Tuch in der Hand.
»Oh, Doktor Bruno«, entfuhr es ihm. Sein Gesicht lief flammend rot an, und er knüllte das Tuch verlegen zu einer Kugel zusammen.
»Es tut mir leid, dass ich störe, Thomas, wie ich sehe, seid Ihr beschäftigt. Ich suche Master Norris.«
»Er ist nicht hier«, erwiderte Thomas, dann schaute er über seine Schulter, wie um sich zu vergewissern, dass dies tatsächlich der Wahrheit entsprach. Ich warf einen kurzen Blick in die Kammer, einen behaglich eingerichteten Wohnraum mit einer hochlehnigen Sitzbank und einem Kamin. Im Vergleich zu den kargen Unterkünften der meisten Studenten bot dieser Raum seinem Bewohner ein gewisses Maß an Luxus. Fenster auf beiden Seiten gingen auf die Straße und den Hof hinaus und ließen sogar an einem trüben Tag ausreichend Licht in die Kammer. Unter einem Fenster stand eine schwere, eisenbeschlagene, mit einem massiven Vorhängeschloss gesicherte Truhe.
»Er ist vermutlich in einer Vorlesung. Ich putze nur gerade seine Schuhe«, fügte Thomas trotzig hinzu.
»Besucht Ihr denn keine Vorlesungen?«
»Nicht, wenn Arbeit anfällt«, fauchte er. Ich wunderte mich über sein Verhalten, aber da ich wusste, wie empfindlich er bezüglich seiner Bedienstetenrolle war, nahm ich an, dass es ihm unangenehm war, bei niedrigen Arbeiten überrascht zu werden.
»Demnach mussten seine Schuhe heute dringend geputzt werden?«, fragte ich, weil mir ein Gedanke kam. Etwas in meinem Ton musste Thomas’ Argwohn erregt haben, denn er runzelte die Stirn, und seine Schultern wurden starr.
»Ich putze seine Schuhe jeden Tag«, gab er knapp zurück. »Was wollt Ihr denn von Gabriel?«
»Ich möchte ihn fragen, wann er seinen Bogen in den Tresorraum gebracht hat.«
Thomas wirkte erstaunt, zuckte aber nur die Achseln, ehe er die Hände an seinem Hemd abwischte.
»Das habe ich getan, am Samstagmorgen. Gabriel hat vor Wut geschäumt. Er sagte, der Rektor habe ihm befohlen, den Bogen abzugeben, statt ihm dankbar zu sein, dass er diesen wilden Hund erschossen hat.«
»Also habt Ihr den Bogen selbst dorthin gebracht?«
Er blinzelte, weil ihm mein Ton missfiel, dann schüttelte er den Kopf. »Ich hatte es vor, aber als ich den Hof überquerte, sahen mich Doktor Coverdale und Doktor Bernard, die neben den Stufen zur Kapelle standen. Sie hielten mich an und fragten mich, was ich mit so einer Waffe im College zu suchen hatte. Als ich es ihnen erklärte, sagte Doktor Coverdale, ich könne den Bogen vor seiner Tür auf den Treppenabsatz legen und er würde dafür sorgen, dass er sicher weggeschlossen wird.«
»Hat Doktor Bernard das gehört?«
»Vermutlich schon, er stand ja direkt neben Doktor Coverdale.« Thomas hob verdutzt die Brauen.
»Könnte es sonst noch jemand gehört haben?«
»Das weiß ich nicht. Es sind noch ein paar andere Leute über
den Hof gegangen, aber ich kann mich nicht erinnern, dass jemand bei uns stehen geblieben ist. Wo liegt denn das Problem, Doktor Bruno, wenn ich fragen darf?« Er drehte das Tuch jetzt zwischen den Händen und forschte neugierig in meinem Gesicht.
»Oh, es gibt kein Problem«, winkte ich ab. Wir sahen uns einen Augenblick in betretenem Schweigen an.
»Doktor Bruno.« Thomas trat näher und dämpfte die Stimme. »Ich hoffe, Ihr haltet mich nicht für vermessen, aber es gibt da etwas, worüber ich dringend mit Euch sprechen müsste. Es ist wirklich sehr wichtig, und ich weiß nicht, wem ich sonst vertrauen kann.«
Mein Puls beschleunigte sich. Konnte es sein, dass Thomas etwas über den Mord wusste?
»Bitte, Ihr könnt ganz offen zu mir sein.«
»Nicht hier.«
»Sind wir denn nicht allein?« Mein Blick schweifte durch den leeren Raum.
Er schüttelte den Kopf, presste die Lippen zusammen und zupfte an dem Tuch herum.
»Wir reden irgendwo außerhalb der Universität, Sir. Ich möchte auf keinen Fall belauscht werden.«
Ich zögerte. Eigentlich hatte ich keine Zeit, es galt zuerst, den Jungen zu finden, der Coverdale aus der Disputation geholt hatte. Aber der drängende Ausdruck auf Thomas’ Gesicht überzeugte mich davon, dass er mir wirklich etwas Wichtiges anvertrauen wollte.
»Also gut. Habt Ihr schon gefrühstückt? Vielleicht finden wir eine Schänke, wo wir essen und uns in Ruhe unterhalten können.« Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich über
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