Ketzer
Röcken den Raum und trat in die kleine Vorkammer auf der rechten Seite, aus der Sophia gekommen war. Wir hörten einen kurzen Wortwechsel, dann kehrte sie zurück, gefolgt von dem jungen Mann, den ich als Gabriel Norris gekannt hatte.
Er war wie üblich in ein gut geschnittenes Wams und schwarze Hosen aus teurem Tuch gekleidet und trug gute Lederstiefel mit Silberschnallen. Das blonde Haar hatte er sich aus dem Gesicht gestrichen. Er wirkte von Kopf bis Fuß wie der Sohn eines Landedelmannes; niemand, der ihm in der Stadt oder an der Universität begegnet wäre, hätte ihn für einen geheimen Missionar gehalten. Er blickte von Thomas zu Sophia zu mir und nickte dann langsam.
»Also gut.« Er hob beide Hände. »Dann lasst uns sagen, was gesagt werden muss. Lady Eleanor: Bei allem Respekt, aber ich
muss Euch bitten, uns allein zu lassen. Es gibt gewisse Dinge, die unter alten Freunden geregelt werden müssen, bevor wir unser Werk fortsetzen können.«
Lady Tolling schien wenig Lust zu verspüren, die Kontrolle über das Drama, das sich unter ihrem Dach abspielte, aus der Hand zu geben.
»Was ist mit Eurer Sicherheit, Vater?«, murmelte sie mit einem viel sagenden Nicken zu Thomas und mir. »Diese Männer sind noch nicht einmal durchsucht worden.«
»Ich kenne sie«, versicherte Norris ihr. »Mir wird nichts geschehen.«
Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, wandte sich Norris – oder Jerome, wie ich ihn jetzt wohl nennen musste – zu mir und fixierte mich mit seinen klaren grünen Augen.
»Doktor Bruno«, sagte er mit gerunzelter Stirn. »Ich hatte gedacht …«
»Ihr hattet gedacht, Rowland Jenkes hätte mich heute Nacht getötet?«
»Nun ja. Obwohl es mich nicht überrascht, dass Ihr ihm entkommen seid, ich hatte ihn gewarnt, Euch nicht zu unterschätzen. Immerhin seid Ihr ein Mann, der jahrelang der Inquisition entkommen ist.« Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, das seine weißen Zähne entblößte. »Habt Ihr und Thomas Eure eigene antikatholische Liga gebildet?« Er hielt kurz inne, um über seinen eigenen Scherz zu lachen. Unter den gegebenen Umständen wirkte er erstaunlich entspannt und gelöst, und nun, wo er nicht mehr den prahlerischen Gecken spielte, sprach er ruhiger und gereifter. Als er sich wieder zu mir umwandte, um mir in die Augen zu sehen, erinnerte ich mich an Humphrey Pritchards Worte: dass Vater Jerome einem das Gefühl gab, einen für einen ganz besonderen Menschen zu halten. »Also gut«, fuhr er weich fort. »Ihr kennt nun die Wahrheit. Seid Ihr gekommen, um mich zu verhaften?«
»Ich bin gekommen, weil ich Sophia in Gefahr glaubte.« Ich versuchte, seinen gleichmütigen Blick ebenso gleichmütig
zu erwidern, obwohl mir dessen Intensität Unbehagen einflößte. Doch ich war entschlossen, nicht als Erster den Kopf zu senken.
»Vor mir?«, fragte er in einem Ton, als hielte er die bloße Vorstellung für absurd. »Warum sollte ich Sophia etwas zuleide tun, die erst kürzlich dank meiner missionarischen Überzeugungsarbeit Mitglied der katholischen Kirche geworden ist?«
»Dank Eurer missionarischen Überzeugungsarbeit? Nennt Ihr das wirklich so?«, explodierte Thomas.
»Wohl eher, weil sie Euer Kind erwartet«, bemerkte ich sachlich.
»Verleumdung.« Jeromes Augen flammten plötzlich zornig auf, als er einen Schritt auf mich zutrat.
»Hat Euch Thomas das gesagt?« Sophias Wangen leuchteten hochrot. »Ihr wisst doch, dass jedes Wort, das er sagt, eine Lüge ist!«
»Niemand hat mir etwas gesagt.« Jetzt log ich, um Cobbett zu schützen. »Ich mag ja ein Mönch gewesen sein, aber ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen, ich weiß, woran man derlei Dinge erkennt.«
Sophia sagte nichts, sondern presste nur eine Hand vor den Mund. Thomas feixte, Jerome sog seine Wangen ein und schien angestrengt nachzudenken.
»Ihr werdet besser als jeder andere verstehen können, wie sehr sich ein Mann als Gefangener der Regeln seines Ordens fühlen kann, Bruno«, erklärte er endlich ernst. »Ja, ich habe gesündigt, aber ich werde keine noch größere Sünde begehen, um die erste zu vertuschen. Sophia wird sicher nach Rouen gebracht werden, wo man für sie sorgen wird, bis ich ihr folgen kann.« Beim Sprechen wanderte sein Blick zu Sophia, die dankbar zu ihm aufsah, aber in seinen Augen las ich etwas, das mir verriet, dass er ihr zuliebe log.
»Ich weiß auch aus Erfahrung, dass religiöse Orden ihre Mitglieder nicht so einfach ihrer Wege gehen lassen, Vater«, warf ich
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