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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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krallte, dann sank er leblos in sich zusammen.
    Ich gab Thomas frei und drehte mich zu Sophia um, die ich angesichts der Szene, die sie soeben erlebt hatte, völlig hysterisch
vorzufinden erwartete. Aber Jerome hatte die Verwirrung genutzt, um Sophia von hinten zu packen, und hielt sie nun mit einem Arm fest, während er mit seinem Messer in der anderen Hand auf die weiße Haut ihres Halses zielte.
    »Lass das Rasiermesser fallen, Thomas«, befahl er so ruhig und gelassen wie ein Lehrer, der einen ungezogenen Schüler zurechtweist. Thomas starrte ihn nur ausdruckslos an. Sein Gesicht, die Arme und die Hände waren mit dem Blut des Dieners bespritzt. Dann trat er einen Schritt vor, und Jerome brachte das Messer näher an Sophias Hals heran. Sophia unterdrückte einen Schrei, kniff die Augen zusammen und schüttelte leicht den Kopf.
    »Lasst sie los«, zischte ich, bemüht, Jeromes autoritären Ton nachzuahmen.
    »Sie loslassen? Und was tut Ihr dann, Bruno?« Ohne das Messer sinken zu lassen, musterte er mich, als wäre ich eine lästige Fliege. »Habt Ihr Verstärkung mitgebracht?«
    »Niemand weiß, dass ich hier bin«, erwiderte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, ob dies der Wahrheit entsprach. Wenn es Cobbetts Boten gelungen war, die Papiere zu Sidney zu bringen, würde dieser dann ein paar Männer zusammentrommeln und nach Hazeley Court kommen? Wie lange würde es dauern, bis sie hier waren? Aber die Chance, dass Slythurst einen Boten ungehindert die Universität hatte verlassen lassen, war äußerst gering.
    Als hätte er meine Gedanken gelesen, schüttelte Jerome ungeduldig den Kopf.
    »Egal, sie werden ohnehin zu spät kommen. Ein für alle Mal, werft eure Waffen auf den Boden.« Er hob die Hand, die das Messer hielt, als wolle er zustechen. Thomas warf mir einen flüchtigen Blick zu, dann schleuderte er das Rasiermesser von sich, das klirrend zu Boden fiel, bevor Stille eintrat. Ich schielte zu Sophia, die jetzt die Augen wieder geöffnet hatte und mich mit einer Mischung aus Verzweiflung, Furcht und Verunsicherung ansah, dann ließ auch ich mein Messer fallen.

    Jerome nickte.
    »Gut. Ihr bleibt jetzt hier und verhaltet euch ruhig, bevor doch noch jemand verletzt wird.« Er schob Sophia auf die Tür zum Westturm zu, hielt ihr dabei aber immer noch das Messer an den Hals. Dann versetzte er ihr einen unsanften Stoß und schloss die Tür mit einem Tritt hinter sich. Thomas stieß einen Wutschrei aus und rannte auf die Schwelle zu.
    »Damit kommst du nicht durch!«, brüllte er, ehe er sich anschickte, den beiden zu folgen. Zu meiner Überraschung trieb Jerome Sophia die Treppe hinauf, nicht hinunter. Als Thomas sie erreichte, trat Jerome nach ihm und traf ihn am Kiefer, sodass er mit blutendem Mund zurücktaumelte und gegen mich prallte.
    Thomas rappelte sich unbeirrt hoch, stürmte die schmale Treppe hinauf und versuchte, Jeromes Knöchel zu packen. Dieser trat erneut nach ihm, während ich ihnen folgte und nur kurz innehielt, um mein Messer vom Boden aufzuheben. Irgendwo über uns hallte plötzlich Sophias Stimme wider, sie schrie laut auf, als litte sie Schmerzen. Ich versetzte Thomas von unten einen Schlag gegen die Wade.
    »Er bedroht sie immer noch mit dem Messer«, zischte ich. »Handelt jetzt in Gottes Namen nicht unüberlegt.«
    Es kostete uns viel Kraft, die steile Treppe zu bewältigen. Einmal hörte ich Sophia stöhnen: »Ich kann nicht mehr«, und Jerome antworten: »Vertrau mir«, doch die Stimmen wurden durch den Echohall gedämpft. Meine Beine begannen zu zittern, als wir immer höher kletterten, vorbei an kleinen kreuzförmigen Fenstern, die Ausblicke auf den Park und den Wald des Herrenhauses boten. Jerome trieb Sophia unerbittlich weiter, und Thomas und ich folgen ihnen, bis ein kalter Luftzug mein Gesicht streifte und ich begriff, dass das Ziel des Priesters die Brustwehr war. Mein Magen krampfte sich zusammen, während ich mir vorzustellen versuchte, was er vorhaben mochte, und überlegte, ob wir alle lebend zurückkehren würden.
    Ich trat hinter Thomas auf eine vielleicht zwölf Fuß breite,
von acht zinnenbewehrten Mauern, die einem Mann bis zur Brust reichten, umgebene Plattform hinaus. Dahinter konnte ich die Kutschenauffahrt und den Feldweg sehen, über den ich mich dem Haus genähert hatte. Der Wald erstreckte sich wie ein grüner Baldachin unter uns, dahinter schimmerten in der Ferne die blauen Hügel im frühen Tageslicht. In dieser Höhe, über hundert Fuß über dem Boden, pfiff

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