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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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lediglich eine einzige Ledertasche mit ein paar Büchern und Kleidern zum Wechseln, und die hatte ich an meinen eigenen Sattel geschnallt. Am Nachmittag erreichten wir den königlichen Forst Shotover am Stadtrand von Oxford. Die Straße durch den Wald war schlecht instand gehalten worden, und wir mussten langsamer reiten, damit die Pferde nicht in den Pfützen und Löchern ins Stolpern gerieten.
    »So, Bruno«, sagte Sidney leise, sowie wir außer Hörweite des Palatins und seiner Diener waren. »Jetzt erzähl mir von dem Buch, wegen dem du die ganze lange Reise von Paris hierher auf dich genommen hast.«
    »Das ganze letzte Jahrhundert lang nahm man an, es sei verloren gegangen«, erwiderte ich. »Aber ich habe nie daran geglaubt, und ich habe überall in Europa Buchhändler und Sammler getroffen, denen Gerüchte zu Ohren gekommen waren, wo es möglicherweise zu finden sein könnte. Aber erst in Paris erhielt ich den Beweis dafür, dass das Buch wirklich noch existiert.«
    In Paris, so berichtete ich ihm, hatte es einen Kreis italienischer Exilanten gegeben, der sich am Rand der Gesellschaft von König Henris Hof bewegte. Zu ihnen hatte ein älterer Florentiner namens Pietro gehört, der nie müde wurde, damit zu prahlen, dass er der Großneffe des berühmten Buchhändlers und Biografen Vespasiano da Bisticci war, der Cosimo de Medici zahlreiche Bücher beschafft und außerdem die Vatikanbibliothek katalogisiert hatte. Dieser Pietro, der mein Interesse für seltene esoterische Bücher kannte, erzählte mir eine Geschichte, die er von seinem Großvater, Vespasianos Neffen, gehört hatte, der um 1460 herum, also während Cosimos letzter Lebensjahre, bei seinem Onkel in die Lehre gegangen war. Vespasiano hatte Cosimo beim Zusammentragen seiner unvergleichlichen Bibliothek geholfen, die Kopisten mit klassischen Texten versorgt und
war so in den Kreis der Medici aufgenommen und ein enger Freund von Marsilio Ficino geworden, dem großen humanistischen Philosophen und Astrologen, den Cosimo zum Vorsteher seiner florentinischen Akademie und offiziellen Plato-Übersetzer der Medici-Bibliothek ernannt hatte. Laut Pietros Großvater, der damals ein junger Lehrling war, besuchte Ficino im Jahre 1463 – dem Jahr vor Cosimos Tod – eines Morgens Vespasiano in seinem Laden. Er war sichtlich aufgewühlt und drückte ein Päckchen an sich. Zwar hatte Ficino zu dieser Zeit schon mit der Arbeit an den Plato-Manuskripten begonnen, dann aber von seinem Gönner die Anweisung erhalten, sie vorerst aufzuschieben und sich einer dringenderen Angelegenheit zuzuwenden – nämlich besagten hermetischen Schriften. Die hatte einer der Mönche, die in Cosimos Auftrag jenseits des Meeres nach Büchern aus den Bibliotheken von Byzanz suchten, etwa drei Jahre zuvor aus Mazedonien mitgebracht, mussten allerdings noch eingehend studiert werden. Vielleicht wusste Cosimo, dass sein Ende nahte, und wollte in den letzten Tagen seines Lebens lieber Hermes statt Plato lesen – ich kann es nicht sagen. Jedenfalls hieß es, Ficino hätte Vespasiano mit aschfahlem Gesicht und am ganzen Leibe zitternd berichtet, er habe die fünfzehn Bände des Manuskripts gelesen und erkannt, dass er seinen Auftrag nicht voll und ganz ausführen konnte. Er würde Cosimo die ersten vierzehn Bände übersetzen, aber der fünfzehnte, sagte er, sei zu einzigartig, zu bedeutend, um in die Sprache machthungriger Männer übertragen zu werden, denn er enthüllte das größte Geheimnis von Hermes Trismegistos, die verlorene Wahrheit der Ägypter; ein Geheimnis, das die Autorität der christlichen Kirche zerstören könne. Dieses Buch lehre die Menschen das Geheimnis des göttlichen Geistes zu erfassen, letzlich sogar wie Gott zu werden.
    Im Anschluss übergab Ficino dieses sorgsam in Öltuch verpackte brisante griechische Manuskript Vespasiano und beschwor ihn, es wie seinen Augapfel zu hüten, bis sie entscheiden könnten, was damit geschehen solle. Er, Ficino, würde Cosimo
derweilen weismachen, das fünfzehnte Buch sei nie mit den anderen vierzehn Bänden aus Byzanz herausgeschafft worden. Die beiden Männer besiegelten ihre Abmachung mit einem Handschlag, und die restlichen Manuskripte wurden auftragsgemäß übersetzt. Nachdem Cosimo im darauffolgenden Jahr starb, trafen sich Ficino und Vespasiano, um zu beraten, was mit dem fünfzehnten Buch geschehen sollte. Vespasiano witterte einen saftigen Profit und sprach sich dafür aus, es an eine der reichen Klosterbibliotheken zu

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