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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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vornübersackte und sich an der Mähne des Tieres festklammerte. Zum Glück hatten wir die Angreifer vertrieben, bevor sie die Riemen unserer Packpferde durchschneiden konnten, aber einer hing gefährlich schief und musste neu befestigt werden, ehe wir unseren Weg fortsetzen konnten. Der Palatin kauerte hinter der nächsten Biegung unter einem Baum. Sidney murmelte eine Entschuldigung für die rabiate Unterbrechung, doch ich war insgeheim der Meinung, dass sich eigentlich der Pole für seine Feigheit hätte entschuldigen sollen.
    Mit schmerzenden Knochen ritten wir bedrückt weiter. Die Schnittwunde an meinem Schenkel war zwar nicht tief, brannte
aber, weil meine Hose sie aufscheuerte. Der Überfall hatte mich stärker erschüttert, als ich es Sidney merken lassen wollte. Es traf zu, dass mein abenteuerliches Leben auf der Flucht mich das Kämpfen gelehrt hatte, doch ich hatte das letzte Jahr in Ruhe und Bequemlichkeit an König Henris Hof zugebracht, und mein Reaktionsvermögen und meine Übung ließen nun zu wünschen übrig. Das Wasser lief mir erbarmungslos am Hals herunter und in die Augen, und selbst als wir den Rand des Shotover Hill erreichten, von dem aus sich uns laut Sidney ein herrlicher Blick über die Stadt Oxford bieten sollte, verdeckte der Regenvorhang alles.
    Wir ritten zu der Brücke hinunter, die beim St. Mary Magdalen College über den Fluss führte, und sahen, dass sich dort eine kleine Menschenmenge versammelt hatte. Als wir näher kamen, verkündete Sidney, es handele sich um eine Abordnung von Universitätswürdenträgern und Ratsherren, die uns begrüßen wollten. An diesem Morgen war ein Reiter in Windsor aufgebrochen, um denjenigen, die sich auf den Besuch des Palatins vorbereiteten, mitzuteilen, dass wir nicht auf dem Wasserweg eintreffen würden. Die sumpfige Straße hatte uns jedoch aufgehalten, sodass das bedauernswerte Empfangskomitee offensichtlich schon einige Zeit im Regen zu warten schien, denn Wasser tropfte unablässig von den Samtkappen der Männer auf ihre schwarzen und scharlachroten Roben.
    Der Vizekanzler trat vor, stellte sich vor, verneigte sich tief und küsste erst die juwelengeschmückte Hand des Palatins und dann die Sidneys. Seine Augen weiteten sich angesichts unserer unordentlichen Erscheinung, aber er ging taktvoll darüber hinweg. Er erklärte, Sidney würde im Christ Church College untergebracht, dem größten aller Colleges in Oxford, für das die Königin eine besondere Vorliebe hegte. Sidney hatte selbst hier studiert, also war es logisch, dass er dorthin zurückkehrte. Ich sollte anderswo einquartiert werden; ein rundgesichtiger Mann mit lichtem Haar unterhalb seiner Kopfbedeckung kam zu mir und streckte mir nach englischer Sitte die Hand hin, wobei er
versuchte, das von seinem Hut rinnende Wasser stoisch zu ignorieren.
    »Doktor Bruno – ich bin John Underhill, der Rektor des Lincoln College. Ich heiße Euch in Oxford herzlich willkommen und hoffe, Ihr erweist uns die Ehre, unsere Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.«
    »Allerdings, und das mit größter Dankbarkeit.«
    »Wir beide vertreten bei der Disputation morgen Abend gegensätzliche Standpunkte, aber ich hoffe, dass wir uns bis dahin als Freunde betrachten.« Er lächelte bei diesen Worten, doch das Lächeln erstarb ihm auf den Lippen.
    Das also war mein aristotelischer Widersacher. Er wirkte hektisch, und seine Gastfreundschaft schien mir nicht ganz echt zu sein, gleichwohl war ich entschlossen, in Oxford einen guten Eindruck zu machen, also lächelte ich breit und schüttelte die mir dargebotene Hand.
    »Das hoffe ich auch, Doktor Underhill.«
    Wir gelangten durch das Osttor in die Stadt, ein kleines Vorwerk in der hohen Mauer, die rund um den Hauptteil Oxfords verlief. Als unser Trupp unter der Brustwehr hindurchritt, stimmten Musikanten ein Konzert an. Ihre Instrumente kämpften tapfer gegen den Lärm von Regen und Wind an. Der Palatin löste sich gerade lange genug aus seiner mürrischen Erstarrung, um halbherzig den Schaulustigen auf unserem Weg entlang der High Street zuzuwinken, vorbei an Reihen kleiner Fachwerkhäuser, die den steinernen Fassaden der Universitätsgebäude wichen, sobald wir uns der Stadtmitte näherten. Davor standen Studenten aller Semester in ihren formellen Roben; sie drängten sich zitternd unter den Dachtraufen zusammen, um uns zu begrüßen, als wir, flankiert von den Doktoren und Ratsherren, an ihnen vorbeikamen. Endlich machten wir am Anfang einer schmalen

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