Ketzer
verkaufen, wo erfahrene Gelehrte dafür sorgen würden, dass es nicht in die Hände von Männern geriete, die das Wissen, das es enthielt, falsch interpretieren oder missbrauchen könnten. Ficino seinerseits hatte seine früheren Bedenken überwunden und fragte sich, ob es nicht besser wäre, das Buch doch noch zu übersetzen, seine Geheimnisse ans Licht zu bringen und sie den großen Denkern der florentinischen Akademie zu enthüllen, die dann über die ketzerischste Philosophie diskutieren würden, die in Italien je bekanntgeworden war.
»Und wer hat sich durchgesetzt?« Sidney vergaß, seine Stimme zu senken. Seine Augen glitzerten hinter den Sturzbächen aus Regenwasser, die von der Spitze seiner Kappe strömten.
»Keiner von beiden«, entgegnete ich. »Als sie das Manuskript aus dem Archiv holen wollten, machten sie eine furchtbare Entdeckung. Das Buch war einige Monate zuvor versehentlich mit einem Bündel anderer griechischer Manuskripte verkauft worden, die ein englischer Sammler sich bestellt hatte.«
»Wer war das?«, wollte Sidney wissen.
»Das habe ich nicht erfahren. Vespasiano hatte es ja ebenfalls nicht können.« Ich senkte den Blick, und wir ritten in nachdenkliches Schweigen versunken weiter.
An dieser Stelle endete Pietros Geschichte. Sein Großvater, hatte er gesagt, hätte nur gewusst, dass ein englischer Sammler auf der Durchreise durch Florenz die Manuskripte erworben hatte und es Vespasiano nie gelungen war, dieses ihm anvertraute, besondere Exemplar wieder aufzuspüren, obwohl er bis zum Ende seines langen Lebens alle seine Verbindungen in
Europa hatte spielen lassen. Ein schwacher Anhaltspunkt, darüber war ich mir im Klaren, denn im letzten Jahrhundert waren zahlreiche englische Antiquitäten- und Büchersammler quer durch Italien gereist, und niemand konnte sagen, ob der Mann, der durch puren Zufall ein derart seltenes Buch erstanden hatte, es weiterverkauft hatte, oder ob es in irgendeiner dunklen Ecke einer Bibliothek verstaubte, weil dem Käufer nie bewusst geworden war, was für ein Vermögen das Schicksal ihm da in die Hände gespielt hatte.
»Warum glaubst du dann, es könnte in Oxford sein?«, fragte Sidney nach einer Weile.
»Ich verfahre nach dem Ausschlussprinzip. Die englischen Sammler, die im letzten Jahrhundert Europa bereist haben, waren gebildete, größtenteils wohlhabende Männer, und bei englischen Gentlemen ist es Tradition, ihrer Universität ihre Bücher zu hinterlassen, da es sich nur wenige leisten können, wie dein Doktor Dee eine große Privatsammlung zu unterhalten. Wenn das Hermes-Buch in England gelandet ist, kann es durchaus den Weg nach Oxford oder Cambridge gefunden haben. Ich muss eben einen Versuch riskieren.«
»Und wenn du es findest …«, begann Sidney, wurde aber jäh unterbrochen, als sein Pferd plötzlich mit einem scharfen Wiehern scheute. Zwei Gestalten waren ohne Vorwarnung mitten auf der Straße aufgetaucht. Wir zügelten unsere Pferde so abrupt, dass der Palatin und seine Diener beinahe gegen uns geprallt wären. Zwei zerlumpte, barfüßige Kinder, ein ungefähr zehnjähriges Mädchen und ein kleinerer Junge, standen vor uns im Matsch. Auf der rechten Wange des Mädchens leuchtete ein violetter Bluterguss. Es streckte uns seine kleine Hand entgegen und wandte sich mit flehender Stimme an Sidney, doch den Blick, mit dem es ihn bedachte, konnte man nur als unverschämt bezeichnen.
»Ein Almosen für zwei arme Waisen, Sir?«
Sidney schüttelte stumm den Kopf, als bedauere er den Gesamtzustand der Welt, griff aber gleichzeitig nach dem Geldbeutel
an seinem Gürtel und zog eine Münze für das Kind heraus. Zugleich ertönte hinter uns ein lauter Schrei. Ich wirbelte herum und sah gerade noch, wie einer der Diener des Palatins von einem stämmigen Mann, der sich zusammen mit zwei anderen geräuschlos aus dem Schatten der Bäume gelöst hatte, von seinem Pferd gerissen wurde. Der Palatin stieß ein erschrockenes Quieken aus, gewann seine Fassung aber bemerkenswert schnell zurück, trieb sein Pferd zu einem Galopp an und jagte zwischen Sidney und mir hindurch, wobei er fast die beiden Kinder niedergetrampelt hätte, hätten sich diese nicht mit einem Satz ins Unterholz gerettet. Ich sprang von meinem Pferd, riss Paolos Messer aus dem Gürtel und stürzte mich von hinten auf einen der Angreifer, der einen dicken Holzstock schwang, um den zweiten Diener aus dem Sattel zu stoßen. Sidney brauchte einen Moment, um zu reagieren, dann stieg auch er
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