Ketzer
Straße Halt, die nach Norden abbog. Hier teilte man mir mit, dass der Rektor mich nun zu meiner Unterkunft geleiten würde. Nachdem ich abgestiegen war und mein Pferd in die Obhut eines jungen Pferdeknechtes gegeben hatte, der es in
den Privatställen des Rektors unterstellen würde, ging ich zu Sidney hinüber, der sich zu mir herunterbeugte und meine Hand ergriff.
»Ich sehe dich dann morgen bei deinem ruhmreichen Vortrag, Bruno«, sagte er lächelnd. »Lass dich nur nicht von deiner Fährte abbringen – und denk beim Abendessen gelegentlich an mich.« Er nickte in Richtung des Palatins, der sich lautstark bei einem Universitätsangehörigen über seine schmerzenden Sattelwunden beklagte. Es stimmte mich nicht sonderlich traurig, auf seine Gesellschaft verzichten zu müssen, aber ich bedauerte es, von Sidney getrennt zu werden. Allerdings beabsichtigte ich, mich heute Abend früh zurückzuziehen und mich auf das öffentliche Streitgespräch vorzubereiten und würde daher ohnehin nicht viel zur Unterhaltung meines Freundes beitragen können. Sowie die Disputation vorüber wäre, bei der ich mich so gut wie möglich schlagen würde, würde ich mich entspannen, die gesellige Universitätsatmosphäre genießen und meine Aufmerksamkeit meinen anderen Missionen zuwenden. Der Rektor war stehen geblieben. Sein Gewand war inzwischen vollkommen durchnässt, dennoch hatte er ein resolutes Lächeln aufgesetzt. Ich schlug den Kragen meines Umhangs hoch, als wir zwischen den Gebäuden hindurchschritten, bis sich die Mauer zu unserer Linken zu einem niedrigen rechteckigen Turm erhob. Der Rektor schob eine mannshohe, in das eisenbeschlagene Holz des hohen Tores eingelassene Tür auf und ließ mir den Vortritt. Der Diener, der meine Tasche trug, folgte mir.
»Es tut mir leid, aber ich muss Euch Euren Dolch abnehmen, Doktor Bruno«, entschuldigte er sich mit einem Blick zu der Scheide an meinem Gürtel. »Zu den obersten Regeln in Oxford gehört es, dass es keinem Mann gestattet ist, auf dem Universitätsgelände Waffen zu tragen. Wir sind nicht nur für den Geist und die Seele unserer Studenten verantwortlich, sondern auch für ihre körperliche Unversehrtheit. Aber keine Sorge, wir werden ihn sicher für Euch aufbewahren.« Er lachte verlegen auf, als ich ihm das Messer widerstrebend überreichte.
Dann trat ich hinter ihm durch einen Bogengang unterhalb des Turms, der in einen ordentlichen, mit Steinfliesen gepflasterten Hof führte. Das Gebäude genau gegenüber dem Torhausturm hielt ich aufgrund seiner hohen, längs unterteilten Fenster und aufgrund des Rauchabzugstürmchens genau in der Dachmitte für die Hall . Efeu rankte sich an den Steinen empor. An den Ecken sämtlicher Gebäude, die den Innenhof säumten, führte ein Torbogen zu einer schmalen Passage. Der Rektor trat neben mich, nahm seinen nassen Hut ab und strich sich mit der Hand über sein schütteres Haar.
»Ihr müsst mir meine äußere Erscheinung nachsehen, Doktor Bruno – dieser plötzliche Rückfall in den Winter hat uns alle überrascht, wir hatten schon gedacht, der Sommer würde bald Einzug halten. Aber mit einem solchen Wetterumschwung muss man in England wohl immer rechnen, fürchte ich. Ihr sehnt Euch sicher oft nach dem blauen Himmel Eurer Heimat, nicht wahr?«
»Manchmal schon, obwohl ich sagen muss, dass das Wetter Nordeuropas meinem Temperament eher zusagt«, gab ich zurück.
»Aha. Demnach seid Ihr eher melancholisch veranlagt?«
»Wie in uns allen, Doktor Underhill, vereinen sich auch in mir widersprüchliche Elemente – Erde und Feuer, Schwermut und Hitzköpfigkeit zu gleichen Teilen. Aber es bedarf mehr als Wärme und blauen Himmel, um das Blut in Wallung zu bringen, findet Ihr nicht? Mir persönlich fällt das Schreiben leichter, wenn ich keinen anderen Verlockungen ausgesetzt bin.«
Underhill nickte zweifelnd. Er trug den Gesichtsausdruck eines Mannes zur Schau, dessen Blut seit vielen Jahren nicht mehr in Wallung geraten war.
»Ihr habt recht. Es ist schwierig, die Studenten während der Sommermonate zum Arbeiten anzuhalten. Und nun – ich habe für Euch ein Zimmer im Südflügel vorgesehen, es grenzt fast an meine eigenen Wohnräume.« Er deutete über den Hof. »Und genau gegenüber findet Ihr unsere Bibliothek, die Ihr jederzeit benutzen könnt.«
»Besitzt Ihr viele Bücher?« Ich schüttelte Wasser von meinem Umhang.
»Kostbarere als die meisten anderen Universitäten.« Unüberhörbarer Stolz schwang in seiner Stimme
Weitere Kostenlose Bücher