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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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mit, den ich aber verzeihlich fand, da er nicht seinen eigenen Verdiensten, sondern seinen Manuskripten galt. »Größtenteils scholastische Werke, aber der Neffe unseres Gründers, Dekan Flemyng, hat uns eine beachtliche Sammlung literarischer und klassischer Texte hinterlassen, von denen er viele eigenhändig kopiert hat. Er hat in Italien studiert, müsst Ihr wissen, und aus allen Teilen Europas Manuskripte mitgebracht«, fügte er hinzu.
    »Wirklich? Ich würde Eure Sammlung sehr gern sehen.« Mein Pulsschlag beschleunigte sich. »Wisst Ihr, ob Flemyng im Rahmen seiner Reisen auch Florenz besucht hat? Um 1460 herum?«
    Der Rektor zuckte die Achseln. »Das hat er ganz sicher – einige Bücher in unserer Sammlung tragen das Zeichen des großen florentinischen Buchhändlers Vespasiano da Bisticci, der, wie Ihr sicher wisst, Cosimo de Medici viele Bücher beschafft hat. Interessiert Ihr Euch besonders für diese Periode?«
    Ich holte tief Atem, versuchte, eine unbeteiligte Miene zu bewahren und faltete meine zitternden Hände, um meine Erregung zu verbergen.
    »Wisst Ihr, jeder italienische Gelehrte ist von Cosimos Bibliothek fasziniert – zu jener Zeit hat er Boten durch ganz Europa und das byzantinische Reich geschickt, die für ihn nach seltenen Texten suchen sollten. Ich habe in Paris einen von Vespasianos Nachkommen kennen gelernt«, fügte ich obenhin hinzu. »Es würde mich in der Tat außerordentlich interessieren, die Schätze zu sehen, die Dekan Flemyng nach Oxford mitgebracht hat, wenn Ihr nichts dagegen habt.«
    Bildete ich es mir ein, oder schien sich der Rektor mit einem Mal nicht recht wohl in seiner Haut zu fühlen?
    »Da müsst Ihr Euch an unseren Bibliothekar Master Godwyn wenden, der Euch sicher gerne unsere Sammlung zeigt und
Euch an seinem Wissen teilhaben lässt. Doch jetzt wollt Ihr sicher erst einmal Eure Kleider wechseln und etwas essen. Und wenn Ihr Euch vorher rasieren lassen wollt …«, ein kritischer Blick streifte mein Haar und meinen Bart, »… wir haben einen Barbier hier. Der Pförtner wird Euch erklären, wo Ihr ihn findet. Für gewöhnlich essen die Senior Fellows und ich zusammen mit den Undergraduates in der Hall zu Abend, aber dort geht es immer ziemlich laut zu, und ich dachte, Ihr würdet Euren ersten Abend in Oxford vielleicht lieber etwas geruhsamer verbringen. Deswegen möchte ich Euch einladen, mit meiner Familie und ein paar ausgesuchten Gästen bei mir zu speisen.«
    »Mit Eurer Familie?«, wiederholte ich überrascht. »Ihr seid demnach kein Junggeselle?«
    »Wir leben hier in Oxford nicht mehr als geistliche Gemeinschaft, Doktor Bruno«, erwiderte er mit einem bescheidenen Lächeln. »Priester der Kirche von England dürfen heiraten – Ihre Majestät ermutigt sie sogar dazu, um eine deutliche Abgrenzung zu den Anhängern des römischen Glaubens zu schaffen  – und das gilt auch für die Universitätsvorsteher hier, obwohl ich zugeben muss, dass wir immer noch eine Minderheit bilden. Dieses Leben schreckt vermutlich viele Frauen ab, da sie zahlreiche Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit hinnehmen müssen, aber meine teure Margaret bildet da eine Ausnahme und ist während der letzten sechs Jahre hier recht glücklich gewesen, abgesehen von…« Er brach ab. Ein Schatten huschte über sein Gesicht, ehe er in einem leichteren Ton fortfuhr: »Die Regeln verbieten es ihr, mit uns in der Hall zu essen, deswegen freut sie sich immer, Gäste in unserem eigenen Quartier bewirten zu dürfen. Ich gehe jetzt zu ihr, um ihr von Eurer Ankunft zu berichten, und rufe einen Diener, der Euch Eure Kammer zeigen wird. Vielleicht kommt Ihr in einer Stunde zu uns – geht einfach durch den Bogengang rechts neben der Hall , dann seht Ihr an seinem Ende eine hölzerne Tür, auf der mein Name steht.«
    Wir waren gerade unter dem schützenden Bogen des Torhauses
hervorgetreten, um im strömenden Regen den Hof zu überqueren, als wir von einem eindringlichen Ruf aufgehalten wurden.
    »Rektor! Doktor Underhill – wartet bitte, ich flehe Euch an!«
    Von der Nordseite des Hofes her kam eine Gestalt in einem zerfetzten schwarzen Talar auf uns zugerannt, die ein Stück Papier durch die Luft schwenkte, als ob es sich um einen Notfall handelte. Mir fiel auf, dass sich das Gesicht des Rektors einen Moment lang vor Ärger verhärtete. Der junge Mann kam direkt vor uns schlitternd auf den nassen Fliesen zum Stehen, und ich sah, dass er vielleicht zwanzig Jahre alt und auffallend

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