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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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gestrichen.«
    »Verfügt die Familie über die nötigen Mittel?«
    Der Rektor schüttelte den Kopf.

    »Nachdem Edmund die Strafe für religiösen Ungehorsam bezahlt hatte, ist fast nichts mehr übrig geblieben. Der junge Thomas hat sich für den Weg entschieden, den viele arme Studenten gehen müssen: Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, müssen sie sich bei einem der wohlhabenden Studenten als Diener verdungen, bei einem der Söhne des niederen Adels oder eines Edelmannes, die für ihr Studium hier bezahlen.« Seine verächtlich gekrümmten Lippen verrieten, was er von diesen Studenten hielt.
    »Also ist dieser Thomas in dem einen Moment noch ein Stipendiat und der Sohn des stellvertretenden Universitätsleiters und im nächsten der bettelarme Diener eines seiner Freunde? Ein hartes Schicksal für einen Mann, besonders für einen so jungen«, meinte ich mitfühlend.
    »So ist der Lauf der Welt«, meinte der Rektor pompös. »Trotzdem ist es traurig, er hat einen hellen Kopf und war immer fröhlich und umgänglich. Er hätte es vielleicht weit gebracht. Jetzt ist er so, wie Ihr ihn erlebt habt. Er verfasst endlose Petitionen an Leicester und bittet um die Begnadigung seines Vaters – sie werden unter der Tür meiner Unterkunft oder meines Privatbüros hindurchgeschoben. Ich habe ihm gesagt, dass ich bezüglich des Earls alles getan habe, was ich konnte, aber er wird immer verbissener. Es ist inzwischen ein ausgesprochener Zwang bei ihm, und ich fürchte fast, er könnte darüber noch den Verstand verlieren. Dennoch tut er mir leid, Doktor Bruno. Ihr dürft mich nicht für kaltherzig halten. Es gab sogar einmal eine Zeit, da habe ich ihn als Bewerber um die Hand meiner Tochter in Erwägung gezogen – sein Vater wollte, dass er Richter oder Anwalt wird, und er schien gute Zukunftsaussichten zu haben. Unsere Familien waren befreundet, und Thomas hatte schon immer viel für Sophia übrig.«
    Ich fragte mich jetzt, ob der ständige leicht gehetzte Ausdruck auf dem Gesicht des Rektors daher rührte, dass er in diesem Kloster voller junger Männer eine Tochter im heiratsfähigen Alter hüten musste.

    »Was hielt Eure Tochter denn von dieser Idee?«
    Der Rektor rümpfte die Nase.
    »Oh, bezüglich einer möglichen Heirat hat sie schon immer Schwierigkeiten gemacht. Mädchen haben da romantische Vorstellungen – ich hätte ihr nicht erlauben sollen, so viele Gedichte zu lesen.«
    »Sie ist also gebildet?«
    Er nickte geistesabwesend, als wäre er mit seinen Gedanken anderswo.
    »Meine beiden Kinder waren altersmäßig nur ein knappes Jahr auseinander, und ich hielt es für ungerecht, dass mein Sohn Unterricht bekommen und meine Tochter nur in der Ecke sitzen und nähen sollte. Außerdem fiel es dem jungen John schwer, sich auf seine Bücher zu konzentrieren. Ich dachte, es würde ihn anspornen, sich mit seiner Schwester messen zu müssen, sie war schon immer schneller von Begriff als er, und er hasste es, von ihr ausgestochen zu werden. In diesem Punkt behielt ich recht. Jetzt scheint es freilich, dass ich dadurch ihre Heiratschancen nicht gerade verbessert habe – sie liebt nichts mehr, als in der Bibliothek zu sitzen und mit den Studenten zu diskutieren, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommt. Und sie hält mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg, was sich für eine Dame nicht schickt und kein Mann bei seiner Frau gern sieht. Also war letztendlich alles umsonst.«
    Er wandte sich ab und blickte seufzend über den Hof hinweg.
    »Wieso umsonst? Hat Euer Sohn Eure Erwartungen für sein Studium denn nicht erfüllt?«
    Underhills Gesicht verzerrte sich, als habe er einen Schmerzanfall erlitten, und er antwortete gepresst:
    »Mein armer John starb vor vier Jahren, möge er in Frieden ruhen – er wurde von einem Pferd abgeworfen. Er wäre diesen Sommer zwanzig geworden, er war so alt wie Thomas Allen.«
    »Mein Beileid. Einen größeren Verlust als den eines Kindes kann man kaum erleiden.«
    »Was Sophia betrifft«, fuhr er brüsk fort, »nun, sie mochte
Thomas und betrachtete ihn als guten Freund, aber angesichts des Rufs, in dem seine Familie heute steht, kommt eine Verbindung der beiden jetzt nicht mehr in Betracht. Außerdem sieht seine Zukunft ziemlich düster aus.«
    »Noch ein schwerer Schlag für den Jungen.«
    »Ja, es ist eine Schande«, versetzte der Rektor ohne großes Mitgefühl. »Aber kommt, wir wollen hier nicht herumstehen und tratschen wie die Klatschbasen. Der Diener wird Euch Eure Kammer zeigen,

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