Ketzer
übergetreten war.« Florio beugte sich näher zu mir. »Er kam nach London, wurde in Lord Burghleys Haushalt aufgenommen und brachte später Lady Jane Grey und Prinzessin Elisabeth Italienisch bei.«
»Dann war das Exil ja für ihn relativ erträglich«, meinte ich.
»Im Exil leben zu müssen ist niemals erträglich«, mischte sich der ältere Mann neben Sophia mit überraschender Heftigkeit ein. »Es ist das schwerste Schicksal, das man einem Mann auferlegen kann, findest du nicht auch, Roger?« Bei diesen Worten verrenkte er sich förmlich auf seinem Stuhl, um den Mann zu Sophias anderer Seite finster anfunkeln zu können. Dieser war Ende vierzig, groß, mit kräftigen Zügen, einem Vollbart, der gerade grau zu werden begann, und rötlicher Gesichtsfarbe. Er wandte sich sichtlich unangenehm berührt ab. »Und auch besonders seinen Freunden«, fügte der alte Mann hinzu. Betretenes Schweigen machte sich breit.
»Mein Vater konnte sich in der Tat glücklich schätzen«, versuchte Florio die Unterbrechung hastig zu überspielen. »Obwohl wir England auch wieder verließen, als ich noch ein Kind war und die Blutige Maria den Thron bestieg.«
»Gott schenke ihrer Seele Frieden«, bemerkte der ältere Mann geradezu ehrfürchtig. Diesmal griff der Rektor ein.
»Bitte , Doktor Bernard.«
»Bitte was, Rektor?« Doktor Bernard deutete auf mich. Sein zerzaustes weißes Haar stand ihm vom Kopf ab wie ein Vogelnest.
»Muss ich diesem abtrünnigen Mönch zuliebe meine Zunge hüten? Wird er mich beim Earl of Leicester anschwärzen?« Er drehte sich um, um mich missbilligend zu mustern, und ich begriff, dass seine wässrigen Augen noch immer scharf waren, obwohl er nur noch wenige Zähne hatte und mindestens siebzig sein musste. Der flackernde Kerzenschein betonte sein eingefallenes, verwittertes Gesicht – ein Gesicht, mit dem man Kinder erschrecken könnte. »Ich wurde vor dreißig Jahren von Königin Maria persönlich in mein Amt berufen, als die Universität von fast allen Anhängern des neuen Glaubens gesäubert war, und ich bin geblieben und habe alle Stürme überstanden, obgleich meine Freunde längst tot oder ihrer Posten enthoben sind und ich dem alten Glauben schon lange abgeschworen habe.« Er stieß ein leises Lachen aus, als mache er sich über sich selbst lustig, dann wurde er wieder ernst. »Aber ich dachte, Ihr wärt Katholik, Doktor Bruno?«
»Ich bin Italiener«, erwiderte ich leichthin, »und als solcher im Schoß der Kirche von Rom aufgewachsen.«
»Nun, ich fürchte, hier werdet Ihr niemanden finden, der mit Euch eine römische Messe liest, Sir. Es gibt in Oxford keine Katholiken mehr, o nein. Niemand hängt mehr dem alten Glauben an.« Er schüttelte bedächtig den Kopf, aber in seiner Stimme schwang bitterer Sarkasmus mit. »Hier unterzeichnen wir alle das Apostolische Glaubensbekenntnis, um unsere Haut zu retten, und schwören der englischen Kirche gehorsam unseren Eid, wie es uns befohlen wird, denn wir sind ja alle treue Untertanen Ihrer Majestät, nicht wahr, meine Herren?«
Zögernd wurde gemurmelte Zustimmung bekundet. Der Rektor wurde immer nervöser.
»William, ich bitte Euch.«
»So scheint es jedenfalls. Doch kein Mann in Oxford ist das, was er zu sein scheint, Doktor Bruno, merkt Euch das. Noch nicht einmal Ihr, wie ich vermute.«
Ich sah auf und begegnete Doktor William Bernards Blick. Dieser gnomenhafte alte Mann vermittelte mir den beunruhigenden
Eindruck, die geheimen Gedanken anderer lesen zu können, und er war der Wahrheit näher gekommen, als es mir lieb war, also neigte ich den Kopf und suchte nach einer Ablenkung, während sich seine blassgrauen Augen weiterhin in mich hineinbohrten. Zum Glück trugen die Diener in diesem Moment Platten mit dem ersten Gang auf: gekochten Kapaun auf Damaszenerpflaumen in Aspik. Dazu wurde ein guter Rotwein kredenzt.
Während sie um den Tisch herumschritten und unsere Teller füllten, beugte ich mich vor, um Sophia Underhill in ein Gespräch zu verstricken, doch im selben Augenblick wandte sich der mir gegenübersitzende bärtige Mann an mich, und Florio nutzte die Gelegenheit, die Aufmerksamkeit des Mädchens auf sich zu lenken.
»Roger Mercer, Doktor der Theologie und stellvertretender Leiter der Universität«, stellte sich der Bärtige mit klangvoller Baritonstimme vor. Aus seinem Akzent schloss ich, dass er aus dem Westen Englands stammte. »Wir freuen uns wirklich sehr, Euch kennen zu lernen, Doktor Bruno, und wir erwarten Eure
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