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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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Männer am Tisch. Da ich wusste, dass ich mich auf sehr dünnem Eis bewegte, fügte ich rasch hinzu:
    »Man nennt ihn den ersten Philosophen, den ersten Theologen, und er galt auch als Prophet – Lactantius schreibt ihm die Vorhersage des christlichen Glaubens zu, und zwar in den Worten des Evangeliums.«
    »Und laut Augustinus hatte er sein Wissen vom Teufel erworben«, ereiferte sich Roger Mercer. Sein Gesicht rötete sich noch stärker, ein halb zerkautes Stück Fleisch fiel ihm aus dem Mund und blieb in seinem Bart kleben, ohne dass er es zu bemerken schien. »Beschreibt Hermes nicht, wie die Ägypter im Rahmen magischer Riten den Abbildern ihrer Götter Leben einhauchten, indem sie die Macht von Dämonen beschworen?«
    »An derlei Dinge habe ich nie geglaubt«, erwiderte ich heftig. »Menschen haben seit jeher mechanisches Spielzeug und Gerätschaften konstruiert und behauptet, sie zum Leben erweckt zu haben. Denkt nur an den metallenen Kopf des Roger Bacon, der angeblich Prophezeiungen von sich gab. All das beruht lediglich auf Aberglauben und Handwerkskunst.«
    »Demnach war Hermes Trismegistos kein Magier?« Sophia, die mich noch immer ansah, wirkte enttäuscht.
    »Er schrieb ausführlich über die verborgenen Kräfte von Pflanzen und Steinen und über die Anordnung des Weltalls«, entgegnete ich. »Manche Menschen bezeichnen das als Alchimie oder Naturmagie, andere als wissenschaftliche Forschungen.«
    »Wenn diese Forschungen in der Absicht ausgeübt werden, sich verbotene Macht anzueignen, dann nennt man es Hexerei«, warf der Rektor in einem Ton ein, der keinen Widerspruch duldete.
    »Aber hat er sich denn irgendeiner funktionsfähigen Magie bedienen können?«, beharrte Sophia, ohne auf ihren Vater zu achten.
    »Was versteht Ihr unter funktionsfähig ?«, fragte ich zurück. »Ich meine, war er in der Lage, seine Naturmagie zu benutzen,
um den Lauf der Welt zu verändern, um die Gedanken und Taten der Menschen zu beeinflussen zum Beispiel, und hat er schriftlich festgehalten, wie das zu bewerkstelligen ist?« Ihre Augen funkelten vor mühsam gezügelter Ungeduld.
    »So etwas wie Zauberrezepte, meinen Sie?«, lachte ich. »Nein, ich fürchte, das hat er nicht getan. Die hermetische Magie, wenn man sie denn so nennen will, lehrt, die Mysterien des Universums mittels des Lichts des Intellekts zu erforschen. Aber sie gibt Euch kein Rezept zur Eroberung des Herzens Eures Liebsten – wenn es um solche Dinge geht, wendet Euch lieber an die Dorfhexe.«
    Vom Ende des Tisches her erklang leises Gelächter. Das Mädchen lief hochrot an, was den Schluss nahelegte, dass mein Scherz einen wunden Punkt getroffen hatte. Um ihr über ihre Verlegenheit hinwegzuhelfen, fuhr ich hastig fort:
    »Hingegen geht der deutsche Alchimist Henry Cornelius Agrippa in seiner Abhandlung über okkulte Magie, die Doktor Mercer erwähnte, auf derlei Dinge ein. Er vertritt die Auffassung, dass wir uns, ähnlich wie die Himmelsbilder, eigene, unseren Zwecken entsprechende Bilder schaffen können. Wenn wir zum Beispiel Liebe erwecken wollen, sollten wir zwei einander umarmende Menschen zeichnen.«
    »Aber wie…«, begann Sophia. Im selben Moment hüstelte der Rektor laut, und die Diener betraten den Raum, um den ersten Gang abzuräumen.
    »Nun, das war eine hochinteressante Diskussion, Doktor Bruno – ich wusste, dass Ihr mit Euren ungewöhnlichen Theorien und Gedanken etwas Leben in unsere kleine Gemeinschaft bringen würdet.« Underhill klopfte mir mit einem unechten Lächeln auf die Schulter. »Aber ich habe angeordnet, dass wir bei jedem Gang die Plätze wechseln, damit Ihr auch ein paar andere Dozenten dieser Universität kennen lernen könnt. Nicht, dass ich unser Gespräch nicht gern fortsetzen würde«, fügte er etwas verspätet hinzu.
    Dann erhob er sich und machte sich daran, die Sitzordnung
zu ändern, sodass ich mich am entgegengesetzten Ende des Tisches wiederfand. Neben mir saßen jetzt drei Männer, mit denen ich bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort gewechselt hatte. Die Diener trugen silberne Platten mit würzig duftendem Fleisch und Gemüse auf, und die Frau des Rektors, die bislang kaum den Mund aufgetan hatte, nutzte die Gelegenheit, um sich mit Kopfschmerzen zu entschuldigen – nicht ohne mich um Verzeihung zu bitten, weil sie eine derart schlechte Gastgeberin gewesen wäre. Sie kam mir schwermütig und kränklich vor, doch dann fiel mir ein, was der Rektor über ihren Sohn erzählt hatte. Derartige Symptome

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