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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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wo bestimmt ein helles Feuer brennt, sodass Ihr Eure Kleider trocknen könnt. Jesus, ist der Wind kalt geworden, eher wie im November als wie im Mai. Ich sehe Euch dann beim Essen.«
    Er schüttelte mir die Hand, und ich wandte mich ab, um dem Diener die dämmrige Holztreppe hinaufzufolgen.
    »Doktor Bruno«, rief der Rektor, als ich schon fast außer Sicht war. Ich drehte mich um und sah ihn flehend zu mir hochblicken. »Bitte erwähnt beim Essen weder Thomas Allen noch meinen armen John – beide Themen berühren sowohl meine Frau als auch meine Tochter schmerzlich.«
    »Macht Euch deswegen keine Sorgen«, erwiderte ich. Ich freute mich schon darauf, seine auffallend eigenwillige Tochter kennen zu lernen. Die Aussicht auf die Gesellschaft einer intelligenten jungen Frau ließ mir den Gedanken an eine Einladung beim Rektor wesentlich verlockender erscheinen als zuvor.

3
    Ich kleidete mich zum Essen in ein sauberes Hemd, ein schlichtes schwarzes Wams und frische Hosen und betrachtete mich kurz in dem gesprenkelten Spiegel auf dem Kaminsims: Aus tiefen Augenhöhlen schauten mir große dunkle Augen entgegen, und mein Haar und mein Bart waren in der Tat ein wenig zu lang und vom Wetter zerzaust. Doch ich hatte schon vor langer Zeit am Pariser Hof beschlossen, weder die Zeit zu haben noch eitel genug zu sein, um mit den Höflingen in einen Modewettstreit zu treten. Ich fand meinen Anblick für fünfunddreißig Jahre eigentlich ganz passabel. Unser Abenteuer auf der Straße hatte mir eine Schramme auf der Wange eingetragen, aber vielleicht faszinierte das ja eine junge, in einer Klosteruniversität eingesperrte Frau. Ich wusste, dass viele Frauen mich anziehend fanden, obwohl ich keine gute Partie war – kein Vermögen, kein Titel, nur ein zweifelhafter Ruhm. Bereitwillig war ich zwar auf die meisten eindeutigen Angebote eingegangen, seit Morganas Tod war mir jedoch keine ebenso belesene und geistreiche Frau mehr begegnet, der ich mein Herz hätte schenken mögen. Die Beschreibung der Tochter des Rektors klang indes äußerst ansprechend, und ich musste zugeben, dass die Aussicht, sie kennen zu lernen, mein Interesse geweckt hatte, obwohl ich mir in Oxford eigentlich keinerlei Ablenkungen leisten durfte – es stand zu viel auf dem Spiel, und mir blieben nur wenige Tage Zeit.
    Ich grinste mein Spiegelbild an, fuhr mir mit der Hand durch das Haar und schüttelte dann ob meines törichten Verhaltens
kurz den Kopf, bevor ich mich auf den Weg zur Wohnung des Rektors machte. Als ich in den Schatten des Bogenganges trat, erhaschte mein Blick einen grünen Streifen, der sich über die gesamte Breite der südlichen Gebäudekette ausdehnte. Ich folgte dem Gang bis zum Ende und trat durch ein offenes Tor aus schmiedeeisernen Gitterstäben in einen von einer Mauer umgebenen Garten hinter der Universität. Er war nicht übertrieben gepflegt, sondern eher naturbelassen, das hohe Gras unter den Apfelbäumen war mit Wildblumen durchsetzt. Entlang des Pfades, der neben der Mauer verlief, waren in regelmäßigen Abständen hölzerne Bänke aufgestellt worden. Bei schönem Wetter musste dies ein idyllisches Plätzchen sein, das die Studenten zum Verweilen und Lesen einlud, aber jetzt hielt sich natürlich niemand dort auf. Ich kehrte in den Gang zurück, fand die Tür mit dem Namensschild des Rektors, strich meinen Wams glatt und bereitete mich auf die erste Kostprobe der Oxforder Gastfreundlichkeit vor.
    Das Erste, was mir auffiel, während ich darauf wartete, eingelassen zu werden, war, dass die angeregte Unterhaltung hinter der Tür etwas zu laut geführt wurde, so wie es meist bei Männergruppen der Fall ist, wenn sie eine Frau beeindrucken wollten. Ein alter Diener mit verkniffenem Gesicht öffnete mir und führte mich in einen Raum mit hohen Bogenfenstern in zwei gegenüberliegenden Wänden. Die beiden anderen waren mit dunklem Holz getäfelt und mit Porträts und Wandbehängen geschmückt. Mein Blick fiel augenblicklich auf den offenkundigen Grund für das prahlerische Gehabe – am Ende eines langen Tisches, auf dem große Kerzenleuchter standen, saß eine junge, ungefähr neunzehnjährige Frau in einem schlichten taubengrauen Kleid mit besticktem Mieder. Ihr langes dunkles Haar fiel ihr offen über den Rücken. Wie der Rest der Gäste, die sich bereits eingefunden hatten, verstummte auch sie bei meinem Anblick und richtete ihre Aufmerksamkeit auf mich, als ich näher trat. Ihr Blick musterte mich von oben bis unten, mit

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