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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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Doktor Bruno?«
    »Ich habe Ficinos Übersetzung gelesen«, erwiderte ich. »Aber darüber hinaus auch das griechische Original, obwohl die Sammlung unvollständig ist. Das fünfzehnte Buch ist verloren gegangen. Lest Ihr Griechisch, Doktor Bernard?«
    Bernard fixierte mich mit einem anklagenden Blick.
    »Ja, ich lese Griechisch, junger Mann – nördlich des Tibers
gibt es nicht nur Barbaren. Bei dem fehlenden Buch handelt es sich jedoch um einen Mythos, es hat nie existiert«, fügte er brüsk hinzu. Anschließend fuhr er etwas freundlicher fort: »Als ich jung war, habe ich Ficino ebenfalls gelesen, und Agrippa auch. Damals war die Furcht vor den alten Autoren noch nicht so groß wie heute. Heute sind so viele bedeutende Werke für uns verloren, davongetragen von den Wellen der Reform. Der Wissensschatz vieler Jahrhunderte wurde zu Asche verbrannt.« Er brach ab, schien sich tief in seine Erinnerungen zurückgezogen zu haben.
    »Doktor Bernard!« Wieder schwang ein warnender Unterton in der Stimme des Rektors mit. »Ihr wisst sehr gut, dass die königliche Kommission von 69 eingesetzt wurde, um ketzerische Schriften aufzuspüren, die zahlreiche Klöster angeschafft hatten. So sollte verhindert werden, dass die Geister unserer jungen Männer mit gottlosen Gedanken und Theorien vergiftet werden – eine Gefahr, gegen die wir Senior Fellows uns immer noch wappnen müssen. Ich bin sicher, Ihr habt gegen solche Verbote nichts einzuwenden.«
    Bernard lachte krächzend auf. »Wie kann es sein, dass Gelehrten das Studium bestimmter Bücher verboten wird? Wie sollen sie denn dann ihren Intellekt schärfen und lernen, zwischen Wahrheit und Ketzerei zu unterscheiden? Und diejenigen, die solche Bücher auf den Index setzen, verfügen noch nicht einmal über genügend Verstand, um zu begreifen, dass verbotene Literatur Männer stärker anzieht als die sündigste Verführerin.« Ein verstohlener Blick traf Sophia. »O ja, ein verbotenes Buch findet seinen Weg durch jeden Ritz und jedes Mauseloch, wusstet Ihr das nicht, Rektor? Man muss nur wissen, wohin man schauen muss.« Er kicherte in sich hinein, als habe er einen Witz gemacht, und seine Kollegen rutschten unbehaglich auf ihren Stühlen hin und her.
    »Was ist denn mit den Büchern geschehen, die man in den Bibliotheken beschlagnahmt hat?«, fragte ich – vielleicht einen Hauch zu drängend, denn Bernards Miene wurde erneut feindselig,
seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und er straffte sich.
    »Das ist lange her«, versetzte er schroff. »Sie wurden verbrannt oder von den Behörden fortgeschafft, wer kann das schon sagen? Ich bin ein alter Mann, ich erinnere mich nicht mehr.«
    Er konnte mir bei diesen Worten nicht in die Augen sehen, und mir wurde klar, dass er log; ein Mann, der noch einen Moment zuvor mit solcher Leidenschaft über Bücher gesprochen hatte, hätte sich sicherlich an eine öffentliche Verbrennung erinnert, auch wenn sie viele Jahre zurücklag. Aber wenn die verbotenen Bücher nicht verbrannt worden waren, mussten sie in irgendwelche Hände gelangt sein, und ich fragte mich, ob der alte Mann wohl wusste, in wessen.
    »Doktor Bruno, Ihr habt meine Frage noch nicht beantwortet«, warf Sophia ein, beugte sich vor und berührte meine Hand, während sie mich gleichzeitig mit ihren weit auseinanderliegenden Augen fixierte. Der Anflug eines Lächelns spielte um ihre Lippen, als kenne sie einen Scherz und überlege, uns daran teilhaben zu lassen. »Wer war er?«
    Ich holte tief Atem und gab ihren erwartungsvollen Blick so gleichmütig zurück, wie es mir möglich war, wobei ich mir bewusst war, dass alle am Tisch verstummt waren und auf meine Antwort warteten – und dass meine nächsten Worte sehr leicht als Blasphemie gewertet werden könnten.
    »Hermes Trismegistos, genannt der dreimal große Hermes, war ein ägyptischer Hohepriester«, begann ich, ein Stück Brot zwischen den Fingern zerkrümelnd. »Er lebte nach der Zeit Moses, lange vor Plato oder Christus. Einige behaupten, er wäre der ägyptische Gott Thot, der Inbegriff der Weisheit. Auf jeden Fall war er ein gelehrter, gebildeter Mann, dem es durch intensives Studium des Kosmos und durch Experimente gelang, die im Buch der Natur und des Himmels verzeichneten Geheimnisse zu entschlüsseln. Er sagte von sich, er wäre imstande, mit dem göttlichen Wesenskern zu verschmelzen.« Ich hielt inne. »Er behauptete, Gott gleich werden zu können.«

    Ein Raunen lief durch die Reihe der

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