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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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und zerfleischt worden, aber als ich den Griff betätigte, fand ich es fest verschlossen. Underhill stand wie erstarrt neben den Leichen des Jägers und seiner Beute. An der hinteren Mauer ganz in der Nähe bemerkte ich einen schwarzen Stofffetzen, der am Rand eines Ziegelsteins hing. Das Gras darunter war von Stiefeln und Pfoten zertrampelt und der aufgewühlte Boden über und über mit Mercers Blut befleckt.
    »Sieht aus, als hätte er versucht, an der Mauer hochzuklettern, der arme Mann«, sagte ich halb zu mir selbst. »Das würde die Wunden an seinen Beinen erklären. Aber sie ist viel zu hoch – warum ist er nicht einfach zum Tor gerannt? Vielleicht befand sich ja der Hund zwischen ihm und dem Tor, was hieße, dass der von draußen gekommen sein muss. Wieso jedoch ist das Tor dann verschlossen?«
    Ich warf dem Rektor, der wie versteinert dastand, einen Blick
zu, dann lief ich zu dem zweiten Torzugang zur Universität, dem, den man vom Gang zwischen der Hall und den Küchen aus erreichte. Auch dieses Tor war verschlossen. Wie, grübelte ich, konnte der Hund dann in den Garten gelangt sein? Und wie Roger Mercer?
    Ich ging zu der Stelle zurück, wo die Leichen lagen.
    »Ist es möglich«, begann ich, während ein Verdacht in meinem Kopf Gestalt annahm, »dass jemand den Hund absichtlich hereingelassen hat?«
    Der Rektor musterte mich ungläubig.
    »Um sich einen schlechten Scherz zu erlauben, meint Ihr?«
    »Wohl kaum. Wer einen halb verhungerten Jagdhund loslässt, muss wissen, dass dieser einen Menschen angreifen wird.« Ich kniete mich neben Rogers verstümmeltem Leichnam nieder und tastete die Taschen ab.
    »Doktor Bruno!«, protestierte der Rektor. »Was tut Ihr da? Der arme Mann ist noch nicht einmal kalt.«
    Roger Mercer war trotz der frühen Stunde vollständig bekleidet gewesen. In einer seiner Hosentaschen fand ich, was ich gesucht hatte.
    »Hier.« Ich hielt zwei an einem Ring befestigte eiserne Schlüssel in die Höhe, von denen einer wesentlich größer war als der andere. »Ist einer davon der Schlüssel zum Garten?«
    Der Rektor nahm mir den Ring ab, hielt ihn ins Licht und inspizierte ihn.
    »Ja, der größere öffnet alle drei Tore.«
    »Dann hat er sich entweder selbst hineingelassen und das Tor hinter sich abgeschlossen, oder jemand hat das Tor verschlossen, nachdem er den Garten betreten hatte«, überlegte ich laut. »Wie dem auch sei, er war hier zusammen mit einem wilden Hund gefangen.«
    »Aber wir wissen immer noch nicht, wie der Hund hereingekommen ist«, gab der Rektor verständnislos zurück.
    »Nun, wir wissen, dass er weder über die Mauer gesprungen ist, noch sich selbst eingelassen und das Tor hinter sich abgeschlossen
hat.« Ich sah Underhill beim Sprechen direkt in die Augen und wartete darauf, dass er endlich begriff, worauf ich hinauswollte.
    Der Rektor umklammerte meinen Arm. Sein Gesicht verzerrte sich vor Panik. Ich roch säuerliches Erbrochenes in seinem Atem.
    »Was wollt Ihr damit sagen, Bruno? Dass jemand den Hund in den Garten gelassen und dann alle Fluchtwege versperrt hat?«
    »Ich finde keine andere Erklärung.« Ich betrachtete die furchteinflößenden Zähne des Hundes, zwischen denen jetzt die schlaffe Zunge heraushing. Schaum klebte an seinen Lefzen. Norris’ Pfeil ragte noch immer aus seinem Hals. »Es muss jemand gewesen sein, der wusste, dass Doktor Mercer zu dieser Stunde hierherkommen würde. Aber dieser hat sicher nicht mit Gefahr gerechnet, sonst hätte er sich bewaffnet.«
    Rogers seltsame Bemerkung vom Vorabend fiel mir wieder ein – dass wir vielleicht alle anders leben würden, wenn wir wüssten, dass uns der Tod ganz nahe ist. Hatte er damit andeuten wollen, dass er um sein Leben fürchtete? Nein, das war nur ein Zufall gewesen, entschied ich, außerdem hatte er davon gesprochen, dass er sich auf die Disputation freute und hinterher mit mir diskutieren wollte. Unvermittelt überkam mich tiefer Kummer. Obwohl ich den Mann kaum gekannt hatte, war er mir warmherzig und aufrichtig vorgekommen, und nun hatte ich ihn wenige Minuten zuvor sterben hören müssen. Ich durfte gar nicht daran denken, dass er vielleicht hätte gerettet werden können, wenn ich schneller reagiert, jemand einen Schlüssel gehabt hätte oder Norris früher mit seinem Bogen aufgetaucht wäre. Ein Moment der Unschlüssigkeit hatte über das Schicksal eines Mannes entschieden … Bei dieser Erkenntnis fing ich selbst zu zittern an.
    »Gehörte es zu seinen Gewohnheiten, so früh

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