Ketzer
blickte auf sein extravagantes Wams und seine ebensolche Kniehose hinab und scharrte verlegen mit den Füßen.
»Ich glaube, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, Doktor Underhill«, begann er, doch der Rektor schnitt ihm das Wort ab.
»Ihr kennt den Erlass des Earls of Leicester bezüglich der Kleiderordnung für Studienanfänger nur zu gut! Und ich habe darauf zu achten, dass sie eingehalten wird – wollt Ihr, dass wir uns nach allem, was geschehen ist, beide vor Gericht verantworten müssen?« Sein Gesicht hatte die Farbe Roter Beete angenommen, seine Stimme klang erstickt. Ich fand, dass er angesichts der Umstände überreagierte. »Keine Rüschen, keine Seide, kein Samt, keine verzierten Wämser oder Kniehosen«, fuhr er fort. »Und vor allem keine Waffen . Ihr verstoßt bewusst gegen die Regeln. Dies ist eine Gemeinschaft von Gelehrten, Master Norris, und kein Hofball, wo Ihr Euren Reichtum zur Schau stellen könnt!«
Der junge Mann schob mürrisch die Unterlippe vor. Dennoch bemerkte ich, dass er auffallend gut aussah und offenbar gewohnt war, seinen Willen durchzusetzen.
»Diese Gemeinschaft von Gelehrten könnte ohne meinen Reichtum gar nicht bestehen, wie Ihr sehr wohl wisst, Rektor. Außerdem berechnet Ihr uns zu hohe Gebühren – ich bin schon gezwungen, wie ein Bettler zu essen, muss ich mich da auch noch wie einer kleiden?«
Der Rektor senkte geschlagen die Stimme.
»Ihr müsst Euch so kleiden, wie es der Earl of Leicester für einen Oxford-Studenten für schicklich hält«, wies er den jungen
Gecken nun etwas kleinlaut zurecht. »Jetzt beeilt Euch bitte und zieht Euch um – wenn Ihr gemeldet werdet, geraten wir beide in Schwierigkeiten, und wie soll ich dann erklären …« Er brach ab und sah hilflos zu den zwei Leichen hinüber. Seine Hände zitterten heftig, vermutlich stand er unter Schock.
Gabriel Norris starrte mich einen Moment lang an, als widerstrebte es ihm, die Stätte seiner Heldentat zu verlassen, dann besann er sich wohl eines Besseren, griff hastig nach seinem Bogen und wandte sich zum Gehen.
»Master Norris!«, rief der Rektor ihm nach.
Der junge Mann drehte sich trotzig um.
»Ja, Rektor?«
»Ein Langbogen? Warum in Gottes Namen habt Ihr einen Bogen und Pfeile an die Universität mitgebracht?«
Norris zuckte die Achseln.
»Mein Vater hat ihn mir hinterlassen. Es ist ein Andenken. Außerdem ist Jagen ein Sport, der den Commoners gestattet ist, die eine Lizenz dazu besitzen.«
»Es ist aber nicht gestattet, einen Bogen in den Räumen der Universität aufzubewahren«, protestierte der Rektor schwach.
»Hätte ich ihn nicht dort aufbewahrt, hättet Ihr diesen Hund mit bloßen Händen erdrosseln müssen, Rektor«, erwiderte Norris trocken. »Allerdings erwarte ich nicht, dass Ihr mir dankt.«
»Trotzdem bestehe ich darauf, dass Ihr ihn in die Stahlkammer im Turm bringt, Master Norris. Bittet Master Slythurst oder Doktor Coverdale, ihn für Euch wegzuschließen. Heute noch, bitte«, fügte er hinzu, als Norris durch das offene Tor verschwand.
Der Rektor holte tief Luft, und dann schienen seine Beine unter ihm nachzugeben. Ich bot ihm meinen Arm, und er stützte sich dankbar auf mich.
»Doktor Underhill«, sagte ich sanft, dabei deutete ich auf Rogers Leichnam. »Ein Mann ist bei einem furchtbaren Unfall umgekommen, und wir müssen herausfinden, wie das geschehen konnte. Wenn es denn tatsächlich ein Unfall war«, fügte ich
hinzu, denn je länger ich nach einer Erklärung suchte, desto beunruhigter wurde ich.
Der Rektor stolperte und prallte fast gegen mich. Sein Gesicht war totenblass geworden.
»Himmel, Ihr habt recht, Bruno. Die Nachricht wird sich wie ein Lauffeuer unter den Studenten verbreiten. Doch wie sollen wir diesen Vorfall erklären? Es sei denn …« Nacktes Entsetzen loderte in seinen Augen. Ich empfand Mitleid mit ihm; sein friedliches, geordnetes kleines Königreich war innerhalb weniger Minuten aus den Fugen geraten.
»Lasst uns zuerst nach der wahrscheinlichsten Ursache suchen«, meinte ich. »Wenn es außer dem alten Hund des Pförtners keine Hunde auf dem Universitätsgelände gibt, muss dieser hier auf jeden Fall von außen hereingekommen sein, höchstwahrscheinlich durch dieses Tor.«
»Ja … ja, so muss es gewesen sein – ein bösartiger Streuner hat seinen Weg durch das Tor gefunden.« Der Rektor griff dankbar nach dieser Erklärung.
Mercer war nur wenige Schritte vom hölzernen Tor zur Gasse hinter der Universität angefallen
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