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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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trotzig an, dann gebot ihr der Anstand zurückzuweichen. Ein Ausdruck ängstlicher Neugier trat auf ihr Gesicht.
    »Was ist denn passiert?«
    »Ein Mann wurde von einem wilden Hund angegriffen. Norris hat den Hund erschossen, nicht den Mann.«
    Sie zog die Brauen zusammen.

    »Ein Hund ? Im Garten ?« Sie schüttelte verwirrt den Kopf, als wolle sie zu viele Fragen auf einmal stellen. »Wer ist denn der Mann?«
    »Roger Mercer.«
    »O nein. Nein!«, wiederholte sie, eine Hand vor den Mund, die andere gegen die Brust gepresst. »Nein!« Ihr Blick schoss wild umher, ohne irgendwo haften zu bleiben, danach sank sie langsam zu Boden. Ihr Rock bauschte sich um sie, und sie hatte die Hand noch immer vor den Mund geschlagen. Ich wusste nicht, ob sie im nächsten Moment in Tränen ausbrechen oder ohnmächtig werden würde. Jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. »O Gott, das kann nicht sein!«
    Ich kauerte mich neben sie und legte ihr behutsam eine Hand auf die Schulter.
    »Es tut mir leid. Ihr mochtet ihn gern?«
    Sie blickte verdutzt zu mir auf, dann nickte sie nachdrücklich.
    »Ja – ja, natürlich –, dies ist mein Zuhause, und die älteren Fellows waren in den letzten Jahren sozusagen meine Familie«, erwiderte sie mit zitternder Stimme. »Ich kann einfach nicht glauben, dass auf dem Universitätsgelände etwas so Furchtbares passiert ist – noch dazu direkt unter unseren Fenstern. Armer, armer Roger.« Sie äugte an mir vorbei zu dem Bündel im Gras und erschauerte. »Wenn doch nur …« Sie brach ab und presste wieder den Daumen gegen ihren Mund.
    »Wenn doch nur?«, hakte ich nach.
    Gleichwohl schüttelte sie nur den Kopf und blickte sich ein weiteres Mal suchend um. »Und wo ist Master Norris?«
    »Euer Vater hat ihn fortgeschickt, damit er sich umzieht. Offensichtlich war seine Kleidung unpassend.«
    Daraufhin spielte ein nachsichtiges Lächeln um ihre Lippen, und mich überkam ein unerwarteter Anfall von Eifersucht. War sie diesem geckenhaften jungen Bogenschützen etwa stärker zugetan, als ich es für möglich gehalten hätte?
    »Ein Hund ?«, grübelte sie laut, dabei fuhr sie sich mit den
Händen durch ihr Haar. Wieder spiegelte sich Besorgnis auf ihrem Gesicht wider. »Wo ist er hergekommen?«
    »Das Tor zur Gasse muss über Nacht offen gelassen worden sein – wie es aussieht, ist ein Streuner hereingekommen, der so ausgehungert war, dass er jedes Lebewesen aus Fleisch und Blut angefallen hätte«, antwortete ich so gelassen wie möglich.
    Sophias Augen wurden schmal.
    »Nein. Das Tor ist immer verschlossen. Vater ist geradezu paranoid, was Vagabunden, Eindringlinge oder Studienanfänger betrifft, die den Garten nachts nutzen könnten, um sich etwa mit den Küchenmädchen zu treffen – er überprüft es jeden Abend um zehn Uhr, bevor er zu Bett geht. Er würde das genauso wenig vergessen wie seine Gebete oder seine Arbeit. Das kann nicht sein.«
    »Vielleicht hat er diese Aufgabe gestern Abend dem Pförtner überlassen, weil er mich zum Essen eingeladen hatte«, meinte ich, dabei dachte ich, wie absurd es doch sei, dass ich eine offenkundig falsche Theorie verteidigte, obwohl ich zu gerne mit ihr über meinen Verdacht gesprochen hätte. »Wie ich hörte, ist dieser Pförtner ein unzuverlässiger alter Trunkenbold.«
    Sie sah mich an, als hätte ich sie soeben zutiefst enttäuscht.
    »Cobbett ist ein alter Mann, das ist richtig, und er trinkt gerne einen Schluck, aber er ist seit seiner Kindheit an der Universität, und wenn Vater ihm eine solche Aufgabe übertragen hätte, wäre er eher gestorben als den Rektor zu enttäuschen. In Euren Augen mag er ja nur ein Bediensteter sein, Doktor Bruno, er ist nichtsdestoweniger ein freundlicher alter Mann und verdient es nicht, dass man verächtlich über ihn spricht.«
    »Es tut mir aufrichtig leid, Mistress Underhill«, entschuldigte ich mich betreten. »Ich wollte wirklich nicht …«
    »Nennt mich lieber Sophia. Immer, wenn mich jemand mit Mistress Underhill anredet, sehe ich mich unwillkürlich nach meiner Mutter um.«
    »Eure Mutter hat von dem Aufruhr heute Morgen nichts mitbekommen?«

    »Ich weiß es nicht, sie liegt noch im Bett.« Sophia seufzte. »Dort verbringt sie den größten Teil ihrer Zeit. Schlafen ist ihre Lieblingsbeschäftigung.«
    »Sie hat wohl den Tod Eures Bruders noch nicht verwunden«, gab ich sanft zu bedenken.
    »Das haben wir alle noch nicht, Doktor Bruno«, fauchte sie, und ihre Augen sprühten Funken. »Aber wenn

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