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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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absolute Klarheit zu verschaffen. Er war es auch, der sich daran erinnert hat, wie schwer sich der Torgriff von innen drehen lässt und wie sehr das einen Fremden irritieren muss. Jeder Coroner, der die Untersuchung durchführt,
wird sicherlich den Umstand berücksichtigen, dass Ihr Euch, wie ich schon sagte, auf dem Universitätsgelände nicht auskennt. Ich erwähne das nur, weil Ihr, solltet Ihr darauf bestehen, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, einen Prozess verlängern und erschweren würdet, der für Doktor Mercers Freund und Kollegen ohnehin schon schmerzlich genug ist. Es führt zu nichts, hinter einem tragischen Unfall ein ungelöstes Rätsel zu vermuten.«
    Fassungslos schaute ich ihn eine Weile an: Sie hatten demnach beschlossen, die Umstände von Rogers Tod so zu verdrehen, dass ein Skandal vermieden, der Ruf der Universität nicht leiden und ein Mörder ungestraft davonkommen würde. Wollten sie eine bestimmte Person schützen oder sich alle nur aus dieser unerfreulichen Angelegenheit heraushalten? Ich fragte mich, ob der Rektor sein Versprechen, die Sache privat weiterzuverfolgen, halten würde, doch ich bezweifelte es. Schließlich war er derjenige, der sich am stärksten um das öffentliche Ansehen der Universität sorgte.
    »Ich halte es für meine Pflicht, wahrheitsgetreu wiederzugeben, was ich heute Morgen gesehen und getan habe«, versetzte ich beharrlich. »Sollte ich damit falschliegen, habt Ihr recht, und ich stehe wie ein Narr da, aber dieses Risiko muss ich eingehen. Ich könnte nachts nicht mehr ruhig schlafen, wenn ich nicht alles sagen würde, was ich weiß.«
    Coverdale kniff die Augen zusammen, schien dann jedoch meine Haltung zu akzeptieren.
    »Nun gut, Doktor Bruno. Ihr müsst tun, was Euer Gewissen Euch gebietet. Sollen wir jetzt hineingehen?« Er deutete auf die zum Portal führende Treppe, die sich merklich geleert hatte. Die meisten Zuhörer hatten drinnen bereits ihre Plätze eingenommen. »Ach … da wäre noch eine andere reichlich seltsame Sache Sie betreffend«, schnaufte er über seine Schulter hinweg, als er die erste Stufe erklomm. »Master Slythurst erzählte mir, er wäre heute Morgen auf dem Weg zur Stahlkammer gewesen, als er Geräusche in Doktor Mercers Kammer gehört hätte. Und
als er einen Blick hineinwarf, war alles in heilloser Unordnung, sagte er, und wen ertappte er wohl beim Durchwühlen von Doktor Mercers Habseligkeiten? Keinen Geringeren als unseren geschätzten italienischen Gast, der gerade Rogers Geldtruhe aufbrechen wollte. Außerdem meinte der Pförtner, Ihr hättet ihm einen Satz Schlüssel zurückgebracht, den Ihr dem Leichnam abgenommen habt.«
    Ich verwünschte meine eigene Dummheit. Wie hatte ich heute Morgen nur einschlafen können? Deswegen hatte ich vergessen, dem Rektor Rogers Kleider auszuhändigen und ihm meine wenig glaubwürdige Lüge aufzutischen. Jetzt hatten sich meine Befürchtungen bewahrheitet, und Slythurst war es gelungen, seine eigenen Spuren zu verwischen, indem er mich als gewöhnlichen Dieb hinstellte. Mir fiel auf, dass der Quästor in seiner Version das Bedeutsamste ausgelassen hatte – nämlich die Tatsache, dass er ebenfalls im Besitz eines Schlüssels zu Mercers Kammer gewesen war.
    »Dafür gibt es eine Erklärung«, begann ich, doch Coverdale brachte mich mit erhobener Hand zum Schweigen.
    »Zweifellos, Doktor Bruno, zweifellos. Dennoch könnte einem Richter Euer Verhalten doch äußerst seltsam – um nicht zu sagen, verdächtig – vorkommen, und die Leute in dieser Stadt hegen ja eine solche Abneigung gegen Ausländer, versteht Ihr, vor allem gegen solche, von denen sie annehmen, dass sie mit Rom sympathisieren.« Er schlug einen unechten entschuldigenden Ton an. »Da könnte es durchaus sein, dass die Gerechtigkeit von blinden Vorurteilen verschleiert wird. Und wenn Ihr die Untersuchung unnötig in die Länge zieht, sind es gerade solche Dinge, die Euch den Hals brechen könnten.«
    Wir standen jetzt auf der Türschwelle der Divinity School. Ich spähte hinein und stellte fest, dass das Auditorium bis auf den letzten Platz besetzt war und die Studenten sich schon auf die Fensterbänke zwängten. Coverdale lächelte mich erwartungsvoll an, nachdem er diese offene Drohung ausgesprochen hatte. Ich taxierte ihn kurz, anschließend nickte ich.

    »Ich verstehe, worauf Ihr hinauswollt, Doktor Coverdale, und werde sicherlich darüber nachdenken.«
    »Das ist recht, Mann«, meinte Coverdale erfreut.

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