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Ketzer

Ketzer

Titel: Ketzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
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»Ihr werdet zu dem Schluss kommen, dass ich nur das Beste für uns alle will. Kommt, wir gehen hinein!«
    Doch ich blieb stehen und schielte über meine Schulter hinweg zur Stadtmauer hinüber. Der Mann ohne Ohren lungerte noch immer dort herum und beobachtete uns. Ich berührte Coverdale am Ellbogen.
    »Wer ist dieser Mann?« Mit meinem Kopf deutete ich in die entsprechende Richtung.
    Coverdale drehte sich um, schaute flüchtig mit halb zugekniffenen Augen und schüttelte dann den Kopf.
    »Niemand von Bedeutung«, gab er schroff zurück, ehe er mir die Tür aufhielt, um mir den Vortritt zu lassen.
     
    Ich versuchte, dieses Gespräch aus meinen Gedanken zu verbannen, sowie ich mich für meine Rede bereit machte. In der Halle war Totenstille eingetreten, die nur vom üblichen Füßescharren, Hüsteln und Rascheln der Roben unterbrochen wurde. Ich räusperte mich und beugte mich leicht über den Rand der Kanzel.
    »Ich, Giordano Bruno der Nolaner, Doktor der Theologie, an den besten Universitäten Europas bekannt, ausgezeichneter und oft geehrter Philosoph, fremd nur unter Barbaren und Schurken, der Erwecker schlafender Geister, Gegner jeglicher Ignoranz und Intoleranz, der ausschließlich aus Liebe zur Menschheit handelt und als Gesellschaft weder Briten noch Italienern, weder Männern noch Frauen, weder Bischöfen noch Königen, weder Geistlichen noch Edelmännern den Vorzug gibt, sondern ausschließlich jenen, deren Konversation friedlich, zivil und von festen Überzeugungen bestimmt ist, der weder das gesalbte Haupt noch die gebrandmarkte Stirn noch die in Unschuld gewaschenen Hände oder den beschnittenen Penis respektiert, sondern einzig und allein Menschen, in deren Gesichtern sich
Weisheit und Bildung widerspiegeln; der, den die kleingeistigen Heuchler verabscheuen und die edlen Gemüter lieben – dieser Mann entbietet dem erlauchten Vizekanzler der Universität von Oxford seine ehrerbietigsten Grüße.«
    Ich verneigte mich in Richtung des Podiums, auf dem der Vizekanzler saß, wartete auf den rauschenden Applaus, den eine solche Einleitung an europäischen Akademien üblicherweise nach sich zog – und stutzte, als mir stattdessen leises, spöttisches Gelächter entgegenschlug. Aus dem Augenwinkel heraus erhaschte ich einen Blick auf Sidney, er schnitt eine Grimasse und fuhr sich mit der Hand über seine Kehle, wie um anzudeuten, dass ich des Guten zu viel getan und mir selbst den Todesstoß versetzt hätte. Ich konnte es einfach nicht fassen – in Paris war eine Disputation ihren Namen nicht wert, wenn sich die Rhetorik nicht in schon fast lächerlich schwülstige Höhen schraubte. Allem Anschein nach zogen es die Engländer in diesem Punkt wie in so vielen anderen vor, sich hinter einem schlichten, zurückhaltenden Stil zu verschanzen. Jetzt konnte ich das Gekicher ganz deutlich hören – und es kam von den Fellows, nicht von den Studenten, obwohl auch diese begannen, dem schlechten Beispiel der Älteren zu folgen; einige von ihnen imitierten wie Schuljungen meinen Akzent. Auf der anderen Seite der Halle hatte sich Doktor Underhill lächelnd auf sein Podest gestützt. Er schien das Schauspiel zu genießen, offenbar dachte er, den Sieg schon in der Tasche zu haben. Der Palatin gähnte demonstrativ laut.
    »Ich leugne entschieden«, rief ich, schlug mit der Faust auf die Kanzel und hob hierauf die Hand, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, sobald das Gelächter verdutztem Schweigen gewichen war, »ich leugne entschieden, dass die Sterne fest am Himmel stehen! Diese Theorie gilt für sie ebenso wenig wie für die Sonne, und jeder, der auch nur einen Funken Verstand hat, wird erkennen, dass die Bewegungen im Universum von der Rotation der Erde herrühren, denn es besteht weit weniger Grund zu der Annahme, dass sich die Sonne und die unzähligen
Sterne um die Erdkugel drehen sollten. Ganz im Gegenteil, es spricht alles dafür, dass es sich genau andersherum verhält. Lassen wir uns unseren klaren Blick nicht länger von acht oder neun imaginären Sphären trüben, denn es gibt nur einen Himmel, ein unendliches Firmament mit unendlich viel Platz für unzählige Welten ähnlich der unseren, die in ihrem Orbit kreisen wie unsere Erde in dem ihren.«
    Sehr zufrieden mit meiner Eröffnung hielt ich inne, um Atem zu schöpfen, und Underhill nutzte die Gelegenheit, um seinerseits das Wort zu ergreifen.
    »Meint Ihr wirklich, Sir?«, konterte er mit einem aufreizend selbstzufriedenen Lächeln auf den

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